Grimes, Martha - Inspektor Jury 17 - Die Trauer trägt Schwarz
beißende Schärfe, mit der dies gesagt wurde, war mehr, als eine gewöhnliche Neunjährige aufbringen konnte.
»Nein. Ich meine, was ist mit dem Gärtner?«
»Der war gar nicht da. Und überhaupt - wieso sollte den jemand umbringen wollen?«
»Wieso sollte dich jemand umbringen wollen?«
13
»Ich weiß einfach nicht, Mickey«, sagte Jury. »Ich halte es durchaus für möglich.«
Sie waren in Mickeys Büro, und Mickey wollte an die frische Luft. Er war aufgestanden und zog schon seinen Mantel an. »Was trinken?«
»Ins Liberty Bounds?«
»Nein. Zu weit. Gehen wir ein Stück und trinken dann irgendwo einen Kaffee.«
Jury sagte: »Ich weiß auch das perfekte Lokal. Ich habe mich ein bisschen in die Bedienung dort verguckt.« Dann hätte er auch mehr Material, um Carol-Anne zu ärgern.
Mickey lächelte. »Also, dann nichts wie los.«
Das besagte Lokal lag kaum drei Straßen vom Hauptquartier entfernt. Obwohl an diesem Vormittag mehr los war als am Wochenende, waren doch noch zwei Drittel des großen Raumes unbesetzt.
Die hübsche Kellnerin hatte ihre Bestellung aufgenommen, Latte Macchiato für Jury, Hauskaffee und ein Stückchen Obstplunder für Mickey. Sie hatte sich richtig gefreut, Jury wiederzusehen, fast als wäre sie besorgt gewesen, ob er am Samstag auch gut nach Hause gekommen war.
Mickey sah ihr nach und lächelte. »Guten Geschmack haben Sie, Richie. Wenn ich nicht glücklich verheiratet wäre...« Er machte eine Geste der Schicksalsergebenheit. »Als es mir gestern Nachmittag wieder besser ging, schickte ich Johnny und eine Uniformierte los, um Kitty Riordin abzuholen. Nur auf ein paar freundliche Fragen. Ich wollte nicht zum Tynedale Lodge hinüber. Ich dachte, wir alle beide wären womöglich zu viel >Polizeipräsenz<, Sie wissen schon.«
»Sie haben aber doch schon mal mit ihr gesprochen, nicht wahr?«
»O ja. Jedenfalls hat sie sich, was Simon Croft betrifft, nicht gerade vor Schmerz und Trauer überschlagen. Sie fand es >bedauerlich<. Sie habe ihn seit langem gekannt, seit seiner Kindheit, gleichzeitig aber das Gefühl gehabt, ihn nicht wirklich zu kennen. >Er war nie sonderlich mitteilsam. Er hatte so seine Geheimnissen«
Jury erzählte Mickey, was er gestern bei seinen Gesprächen mit den diversen Mitgliedern der Familie erfahren hatte.
»Marie-France Muir und ihre Erinnerungen an das Blue Last -sie schien sich dort sehr heimisch gefühlt zu haben. Sie mochte das Lokal wirklich sehr. Ich hatte den Eindruck, für sie war das Pub eine eigene kleine Welt. Allerdings darf man so einen Ort nie zu viel mit Bedeutung beladen. Er erfüllt einen, wenn man ihn hat, und hinterlässt eine Leere, wenn es ihn nicht mehr gibt. In der Beziehung sind wir alle Waisen.« Er dachte an Gemma. Übriggeblieben.
»Waisen sind wir sowieso alle. Sie sind eine, ich auch, und Liza auch.« Mickey überlegte. »In Bezug auf Pflegeeltern hatte ich Glück. Meistens vergesse ich ganz, dass sie ja gar nicht mit mir verwandt sind. Liza hatte auch Glück.« Er musterte Jury. »Sie nicht.« Er seufzte. »Wir hatten doch immer so viel Spaß miteinander, wir drei, nicht?«
»Doch, hatten wir.« Jury hatte es vergessen - dass sie alle drei Waisen waren. Er fragte sich, ob das wohl alles war, was sie gemeinsam hatten.
Mickey erhob die Kaffeetasse, halb salutierend, halb, um die Kellnerin herbeizuholen.
»Hat irgendjemand Gemma Trimm erwähnt?«
»An jemanden mit dem Namen Trimm kann ich mich nicht erinnern«, sagte Mickey verblüfft.
»Das ist es ja gerade, Mickey. Keiner hat ein Wort über sie verloren. Sie ist das Mündel des alten Oliver Tynedale. Neun Jahre alt. Ich bin ihr beim Spaziergang im Garten begegnet.«
Jury erzählte ihm Gemmas Geschichte.
»Das hat sie doch hoffentlich erfunden.«
»Nicht alles. Die Polizei fand eine Patronenhülse, die durchs Treibhaus geflogen war.«
»Danke«, sagte Mickey zu der Kellnerin, die ihm die Tasse auffüllte und das süße Teilchen hinstellte. Sie fragte Jury, ob er noch einen Latte wollte.
»Schenken Sie mir doch davon ein, bitte.«
Sie tat es, lächelte ihn an und ging.
»Ich würde sagen, sie ist diejenige, die sich verknallt hat«, sagte Mickey etwas zerstreut und beugte sich, die Arme verschränkt, über den Tisch. »Wir können diesen Fall nicht auch noch mit Drohungen verkomplizieren, die gar nicht existieren, Rieh.«
»Jeder Fall ist kompliziert, bis man alles auseinander dividiert hat. Und die Sache mit diesem Mädchen muss einfach unter die Lupe genommen
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