Grimes, Martha - Inspektor Jury 20 - Inspektor Jury kommt auf den Hund NEU
sagte, war Folgendes: >Da ist schon so viel passiert, zuletzt sind eine Frau und ein Junge verschwundene Er legte die Handflächen aneinander, ließ eine Hand nach oben fahren und sagte: >Wusch, in Rauch aufgelöst haben sie sich.<«
»Und sonst sagte er gar nichts, außer der Warnung, nicht im Wald herumzustapfen?«
Harry schüttelte den Kopf und trank seinen Whiskey vollends aus, der noch neben seinem Weinglas gestanden hatte.
Jury dachte einen Augenblick nach. »Wo war eigentlich Robbie, während Glynnis das Haus besichtigte?«
Achselzuckend schob Harry seinen Teller weg. »Das habe ich auch überlegt. Er trottete vermutlich hinter seiner Mutter her.«
»Vielleicht aber auch nicht. Sie wissen doch, wie gern Kinder ein neues Haus erkunden. Ich frage mich -« Jury lehnte sich zurück und stieß den Atem aus.
»Ja?«
»- ob er vielleicht etwas gesehen hat.«
»Oder Glynnis.«
»Wenn sie es sich überhaupt angesehen hat.« Jury machte eine Pause. »Die Maklerin hatte das Haus bestimmt einer ganzen Reihe von Leuten gezeigt, wenn es so lange leer gestanden hatte.«
»Ja, aber Sie wissen ja, wie Immobilienmakler auf dem Lande es machen: Sie händigen einem den Schlüssel aus, und dann ist man auf sich selbst gestellt. Eine recht merkwürdige Praxis, finde ich.«
»Was tat Hugh dann? Ich meine, in den Wochen und Monaten danach.«
»Wie gesagt, als die Polizei nichts herausfand, engagierte er einen Privatdetektiv. Und allmählich brach er zusammen, nervlich. Er war von diesem unentwirrbaren Rätsel - wie besessen.« »Das ginge aber doch jedem so, meinen Sie nicht?«
»Schon, aber Hugh fraß es völlig auf. Es war, als stünde er in einem brennenden Gebäude und könnte sich nicht rühren, als wartete er auf die Flammen. Es ging so weit, dass er nicht mehr aus dem Haus ging, aus lauter Angst, den Telefonanruf oder das Klopfen an der Tür zu verpassen. Er sagte mir, er könne schwören, er hätte Mungo bellen hören.«
Unter dem Tisch verlagerte Mungo sein Gewicht.
»Es wurde immer schlimmer mit ihm, er aß nicht und schlief nicht, bis sein Körper schließlich nicht mehr mitmachte. Einmal fand ich ihn neben dem Kamin liegen und dachte, er wäre tot.«
»Keine Selbstmordversuche?«
»Nein, Hugh doch nicht. Die Köchin und das Hausmädchen blieben bei ihm, obwohl er vergaß, ihnen den Lohn auszuzahlen. Ich übernahm das, als ich davon erfuhr. Sie waren der Familie treu ergeben. Inzwischen sind sie natürlich gegangen.«
Jury nickte zustimmend und drehte sein Weinglas zwischen den Fingern hin und her. Nein, er wollte nichts mehr. Er war mit Whiskey und Wein förmlich vollgesogen.
Harry beugte sich vor und wieder zurück. Er seufzte. »Und dann kam er nicht mehr allein zurecht. Als ich ihm das sagte, schaute er mich bloß ausdruckslos an und sagte: >Aber was soll ich denn machen? Was ist, wenn Glynn und Robbie zurückkommen, wenn sie nach Hause kommen und ich nicht da bin ?< Nicht auf sie zu warten hieß für ihn, dass alles endgültig war, dass er sie nie mehr wiedersehen würde.«
»Und er sagte, >wenn< sie nach Hause kommen, nicht >falls«
»Ja, Hugh war immer überzeugt davon, dass sie wiederkämen.« »Vollkommen überzeugt war er aber nicht, sonst wäre er nicht
zusammengebrochen, oder?«
»Wissen Sie, es ist seltsam, nein, nicht direkt seltsam, eher im biblischen oder griechischen Sinn ein Akt Gottes oder der Götter, ganz und gar unwiderleglich und deshalb unbeantwortbar. Wie bei Hiob oder König Ödipus. Oder Shakespeare. Ich kann es nicht erklären, aber vielleicht sollte man das auch gar nicht.«
»Hiobs Problem, wie Sie sagten.«
»Seltsam. Ich kannte keinen, der so gelassen war wie Hugh. Er war selbstbewusst, beherrscht und liebenswürdig - aber nicht auf so eine oberflächliche Art, sondern wirklich durch und durch liebenswürdig. Selbst seine Wut war vollkommen beherrscht, er wusste genau, wie weit er gehen konnte, bevor eine Beziehung unrettbar zerrüttet war. Immer hatte er die Zügel fest in der Hand, hatte sich unter Kontrolle.«
»Wo ist er jetzt?«
»In der Stoddard-Klinik in Fulham. Eigentlich eine recht angenehme Anstalt, sehr ansprechend, gut geführt, selbstverständlich teuer. Sie haben nur einige wenige Patienten, sind ganz auf exklusive Behandlungen eingerichtet. Dort ist er jetzt seit etwa acht Monaten.«
»Geht es ihm besser?«
Harry schüttelte den Kopf. »Wie auch! Hugh hat keine Psychose, er ist nicht geisteskrank. Es handelt sich bei ihm eher um eine Obsession.
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