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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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sein?«
    Keine Antwort; statt dessen zupfte er ein paar Noten, spielte ein paar schnelle Akkorde.
    »Oder war es von vornherein als Buße gedacht, daß Sie überhaupt gelernt haben zu spielen -« Jury deutete mit dem Kopf auf die Gitarre.
    Ein langes Schweigen, dann sagte Charlie: »Seit ich in London bin, gehe ich jeden Morgen, manchmal zweimal am Tag, zur Waterloo Station. Gehe ins Bahnhofsrestaurant, bestelle mir eine Tasse Tee, gehe wieder raus und sehe mir die Abfahrtstafeln an. Nach Leeds geht fast stündlich ein Zug.« Er ließ die Saiten los und griff in die Gesäßtasche seiner Jeans. »Die da habe ich gekauft.« Er breitete vier Fahrkarten aus -Tagesrückfahrkarten nach Leeds. »Seit acht Jahren will ich zurück und ihr erzählen, was damals passiert ist.« Er schwieg kurz. »Ich bringe es nicht fertig, ihr gegenüberzutreten.«
    Jury wartete. Sollte er sich ruhig an seiner Gitarre festhalten, Akkordfolgen von »Yesterday’s Rain« spielen und in den leeren Saal starren, der für ihn so öde und wüst sein mochte wie das Moor von Haworth.
    »Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, das war aus dem Fenster in meinem Zimmer. Es ging aufs Meer, und sie ist auf dem Klippenweg stehengeblieben, hat hochgeschaut und gewinkt. Wie sie gewinkt und gelächelt hat, das war so« - er hob die Schultern - »so freudestrahlend, man sollte meinen, wir hätten uns seit Ewigkeiten nicht gesehen. Wie Mütter auf dem Bahnsteig, wenn die Kinder in den Schulferien nach Haus kommen, na, Sie wissen schon.« Er warf Jury einen Blick zu, doch jetzt sah der zu Boden. »Ich habe sie so lieb gehabt. Auch wenn Sie es nicht glauben, ich hätte mein Leben für sie gegeben.«
    Jury hob den Blick und betrachtete die leeren Sitze. »Das haben Sie.«
    »Ich zog mich gerade an und guckte aus dem Fenster, das nach hinten ging, und da sah ich sie -« er blickte in den leeren Saal, »- wie sie den Feldweg hinter dem Haus entlangkam. Ich habe überlegt, was um alles die Tante wohl hier wollte; angemeldet hatte sie sich nämlich nicht. Dann verschwand sie im Haus, in der Küche. Ich wollte schon die Treppe runterlaufen - mein Zimmer lag oben, direkt an der Treppe zur Küche -, aber dann bin ich stehengeblieben. Ich weiß auch nicht, warum ich nicht einfach runtergepoltert bin. Ich konnte gedämpfte Stimmen hören, und gleich darauf knallte die Tür zu. Die Küchentür. Ich zurück in mein Zimmer, und da sah ich Billy und seine Tante Irene, wie sie den Feldweg langgingen, und Gnasher, sein Terrier, tapste hinter ihnen her. Ich wollte schon das Fenster hochschieben und etwas rufen, aber wieder hat mich irgend etwas davon abgehalten. Ich spürte, daß was faul war.
    Dann bin ich runtergerannt und habe Mrs. Healey gesucht. Aber die war wohl auf dem Klippenweg weitergegangen, und da habe ich mir gedacht, nein, sie zu suchen, das kostet zuviel Zeit. Ich bin also ums Haus gelaufen und habe versucht, die beiden einzuholen, ohne daß sie mich bemerkten. Und dann habe ich das Auto gesehen, das Auto seiner Tante; das kannte ich, es stand immer bei den Citrines auf dem Hof. Es war am Ende des Feldwegs geparkt, an der Straße, und sie sind eingestiegen. Es gab wohl Streit wegen des Hundes, aber Billy hat ihn reingezogen. Das gab mir Zeit, zum Schuppen zurückzulaufen und mir das Fahrrad und einen alten Regenmantel zu schnappen. Das Auto ist -«
    Er schwieg und blickte die Gitarre an, als hätte er sie noch nie im Leben gesehen.
    Jury sah ihn an und sagte: »Zu einem alten Friedhof gefahren.«
    Charlie nickte. »Allmählich wurde es dunkel. Nur noch die Autoscheinwerfer und eine Taschenlampe gaben Licht. Die hielt ein Mann, den ich nicht erkennen konnte; es war, als ob er mir mit der Taschenlampe direkt in die Augen leuchtete, mich damit festnagelte. Aber sie hatten mich nicht gehört. Der Rest ist dann wie wirre Bilder aus einem Traum. Ich hörte, wie Billy etwas sagte, und dann weinte er. Ich hörte Gnasher einmal bellen, dann war Stille. Nur von den beiden kein Laut, ich meine, die machten das alles stumm, während ich mich hinter einen Grabstein duckte. Ein richtiger Alptraum, das Ganze.
    Billy lag auf der Erde und der kleine Hund neben ihm. Seine Tante schubste den Hund in die Grube.« Er schwieg schon wieder. »Kennen Sie das Gefühl, wenn man auf einmal zwei verschiedene Menschen ist? Und der eine bleibt im Sessel sitzen, während der andere aufsteht und durchs Zimmer geht? So ist es mir damals ergangen. Ein Teil von mir versteckte sich immer noch hinter

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