Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
Schultern wurden noch betont durch das zeltartige Gewand. Ihr Haar war feuerrot, fiel von einem Mittelscheitel bis auf die Schultern und schien ein Eigenleben zu führen; es stand nach allen Seiten ab, als hätte man sie an eine Steckdose angeschlossen. Graue Strähnen durchzogen das Rot, und weil das Licht so wunderlich darauf spielte, wirkte ihr Haar wie von einem losen Silbernetz gehalten.
»Prost!«
Jury trank noch einen Schluck und rang erneut nach Atem. Seine Kehle brannte.
»Man gewöhnt sich dran. Ich trinke Rum, seit Archie -mein Seliger - und ich die Strände von Barbados unsicher gemacht haben. Gefallen Ihnen meine Poster?«
Jury nickte. »Ist das Ihr Mann in dem Klub da?«
»Der? Nein, es ist nur ein Pärchen, das wir auf Bimini kennengelernt haben. Mein bevorzugter Urlaubsort. Zwei Monate waren wir da. Archie war nicht scharf darauf, fotografiert zu werden. Und auch nicht scharf darauf, zu bezahlen. Eine Tatsache, die mir Charles immer wieder unter die Nase reibt. Daß ich verheiratet war, hat er Ihnen sicher nicht erzählt, oder?«
»Nein«, sagte Jury. Seine Augen hingen immer noch an dem blau- und malvenfarbenen Poster, auf dem sich atlantische Wogen am Strand von Bimini brachen. Der Sonnenuntergang paßte zum Drink, den er etwas von sich fortschob. Womöglich war das Zeug leicht brennbar.
»Typisch. Er will einfach nicht wahrhaben, daß eine Citrine mit einem amerikanischen Mitgiftjäger durchgebrannt ist.« Sie hob wieder das Glas. »Auf Archie Littlejohn. Friede seiner Asche.«
»Das tut mir leid.«
»Was denn?«
»Nun, daß er tot ist.«
»Abgängig dürfte es eher treffen. Ist jetzt drei Jahre her, daß ich Archie zum letztenmal gesehen habe, auf Bimini; da verschwand er mit einem Fischerboot zum Hochseeangeln. Und mit ihm meine letzten drei Riesen. Aus meinem Anteil an Daddys Geld. Der liebe Daddy war sehr konservativ und fand, auf Frauen wäre in punkto Geld kein Verlaß; also hat Charles den Löwenanteil gekriegt. Zugegeben, Charles hat sich das meiste selbst erarbeitet; trotzdem gehört er zu den Glückspilzen mit den goldenen Fingern. Na gut ... Archie schipperte also auf und davon, und ich entschloß mich, an den heimischen Herd zurückzukehren. Ich war völlig pleite. Wir hatten mein ganzes Geld verjubelt.« Sie blickte sich vergnügt im Turm um. »Mir gefällt es so. Ich lese viel, gehe spazieren und mit Charles auf Moorhuhn- und Fasanenjagd, weil es ihn so ärgert, daß ich besser schieße als er. Und im übrigen habe ich meine Malerei.«
Jury drehte sich um und betrachtete eine der Leinwände mit zusammengekniffenen Augen. Eine Spur von Licht fiel auf eine dunkle Oberfläche. »Kein gutes Licht zum Malen.«
Sie hob die Schultern. »Im Dunkeln wirkt meine Malerei besser. Kaum zu glauben, aber ich verkaufe auch.«
Jury mochte es tatsächlich kaum glauben, sagte aber: »Das ist ja großartig.«
»Finden die Käufer nicht, wenn sie damit nach Haus kommen und das Bild bei Tageslicht sehen.«
Oben im Turmdach sah Jury ein mit Brettern vernageltes Loch. »Bauen Sie sich ein Oberlicht oder so etwas?«
Auch sie kniff die Augen zusammen und sah zur Decke hoch. »Meine passive Solarheizung. Ist vor ein paar Wochen passiert. Irgendeine Firma sollte es längst repariert haben.« Drei Cocktails hatten sie anscheinend recht duldsam dafür gemacht, daß auf die Baufirma kein Verlaß war. »Ab und an besucht mich eine Fledermaus.«
Sie griff nach der dicken Kerze, um sich noch eine Zigarette anzuzünden.
Als sie sich über den Tisch beugte, zeichneten sich ihre runden Brüste unter dem Muumuu ab. In dem Ausschnitt schimmerte ihre Haut so weiß wie der Hibiskus auf dem Stoff, und in ihren schrägen Katzenaugen flackerte es auf. Ob sie sich wohl darüber im klaren war, daß ihr Archie sie vielleicht doch nicht nur wegen des Geldes geheiratet hatte?
»Wie kam das alles?«
»Helen. Unsere Familie, die Citrines, war nicht gerade arm. Aber hier ist die Rede von Geld, das man im Panzerwagen zur National Westminster Bank karrt. Kohle, richtiger Kies.« Rena lehnte sich zurück und drehte langsam am Stiel ihres Glases. Sie wirkte ein wenig traurig. »Ich mochte Helen. Sie war etwas wirr im Kopf, außerordentlich hübsch, dumm, aber ein guter Mensch. Hinterließ mir ein nettes Sümmchen, das ich in Lichtgeschwindigkeit durchgebracht habe. Alles übrige ging an Nell. Mein Bruder, der heilige Charles, hatte ja Daddys Geld. Darf ich eigentlich mit Ihnen reden?« Das »darf« war, wie auch das
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