Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
Lächeln, schon etwas verschwommen.
»Superintendent Sanderson könnte etwas dagegen haben.« Jury gab das Lächeln zurück.
»Sie sehen besser aus als er.«
»Sie auch.« Jury hob das Glas, als wollte er auf ihr Aussehen anstoßen, in Wirklichkeit aber wollte er verhindern, daß sie ihm noch mehr von dem brennbaren Cocktail einschenkte. »Und jetzt leben Sie hier zu dritt?«
»Abgesehen von ein, zwei Dienstboten. Ich gehe nicht gern nach unten, außer zum Abendessen. Das ist zum Schreien komisch. Als Aperitif ein säuerliches Lächeln; erster Gang: Lachen-als-ob; Hauptgang: Gekabbel, und zum Nachtisch: Schweigen.«
»Falsches Lächeln, Streit und Schweigen. Klingt nicht sehr einladend.«
»So ist es, wenn es bei uns lustig zugeht. So war es, sollte ich sagen. Roger« - sie wandte den Blick ab, sah an den
Postern vorbei zum schmalen Fenster - »trug zu den Lustbarkeiten bei.« Ihr Ton war ironisch. »Die reinste Ralph Lauren-Reklame. Polo. Das Eau de Cologne, nicht der Sport. Obwohl man ihn sich gut beim Polospielen vorstellen konnte.«
»Dann sind Sie nicht einer Meinung mit Ihrem Bruder?«
»Ich bin nie einer Meinung mit meinem Bruder, schon aus Prinzip nicht. Sie meinen, was Roger angeht?«
»Für Mr. Citrine war er ein prächtiger Mensch. Ein liebevoller Vater und Ehemann.«
Rena wischte Asche vom Tisch zu Boden. »Ach, >prächtig<. Was immer das bei Charles heißen mag. Roger war charmant - gutaussehend, witzig, kultiviert, begabt. Und seicht. Ich verstehe nicht viel von Musik, aber ich gehe jede Wette ein, daß er als Musiker gescheitert war, denn seine Musik war nichts als technisch perfekte Schaumschlägerei. Ich meine, braucht ein großer Musiker nicht Seele oder so etwas? Sogar Billy hatte mehr Tiefgang als er. War ein netter Junge, wenn auch etwas bequem. Lieb, charmant - das hatte er wohl geerbt - aber er nutzte seine Talente nicht richtig. Sein Pech, daß er absolut keine Lust hatte, ein musikalisches Wunderkind zu werden. Was Roger sehr verdroß. Er konnte ein richtiger Tyrann sein.« Sie rauchte und betrachtete die schwankenden Schatten, welche die Kerzen warfen. »Ist vielleicht nicht nett, so von Roger zu reden, nach allem, was er mit Billy und dem anderen Jungen, Toby, durchgemacht hat. Mein Gott. So etwas entscheiden zu müssen .«
»Was hätten Sie getan?«
»Gezahlt natürlich. Aber ich höre ja auch nie auf jemand anders.« Ihr Gesicht wurde hart. »So ein Mistkerl.«
Jury runzelte die Stirn. »Roger Healey selbst besaß nicht genug Geld, um das Lösegeld zu zahlen.«
»Die Citrines hätten zahlen müssen, aber selbstverständlich hätte der Vater das Sagen gehabt. Und wenn er nicht darauf bestand ...« Sie hob die Schultern.
»Sie kennen die Statistiken nicht, die -«
»Ihre Statistiken interessieren mich nicht, Superintendent. Die arme Nell hatte nichts zu sagen. Sie war ja nur die Stiefmutter. Wenn Sie mich fragen, so war sie eine bessere Mutter als manche andere. Nell fliegen Kinderherzen einfach zu. Toby Holt hat sie vergöttert, hat immer kleine Besorgungen für sie gemacht, und sie hat ihm dafür viel zuviel gezahlt.« Rena lächelte. »Sie konnte ihnen stundenlang vorlesen, Geschichten erzählen, Gedichte aufsagen, auf dem Klavier vorspielen. Sie hat sogar versucht, Toby Klavierstunden zu geben. Aber der hatte keine Spur Talent.« Schon wieder zündete sie sich eine Zigarette an der Kerze an.
»Sie meinen also, daß Ihre Nichte ihren Mann aus diesem Grund umgebracht hat?«
»Dann hat sie sich aber verdammt lange Zeit damit gelassen.« Wie um ihre Worte zu unterstreichen, knallte sie die Kerze auf den Tisch. »Womöglich ist Roger gar nicht der liebevolle Ehemann gewesen, zu dem ihn der heilige Charles hochstilisieren möchte.«
»Was heißt das?«
»Schon mal mit jemandem geredet, der mit Roger gearbeitet hat? Da gibt es eine Frau, eine gewisse Mavis Crewes. Die ist hier zwei-, dreimal zu Besuch gewesen. Arbeitet bei einer Zeitschrift; sie tat so, als wollte sie einen Reisebericht über die Gegend hier bringen. Der gefiel unser Haus mächtig. So vornehm. Mit der sollten Sie sich unterhalten.«
»Und Sie glauben, daß Nell Healey etwas herausgefunden hat?«
»Nell ist doch nicht blöd. Still, aber eine gute Beobachterin. Andererseits auch vertrauensselig. Vielleicht ein bißchen naiv.«
Naiv war nicht das Wort, das Jury gewählt hätte, nicht nach dem, was er von Macalvie gehört hatte. »Wie spricht -sprach - sie von ihrem Mann?«
Rena Citrine lächelte dünn.
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