Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor
- die sich als Rena vorstellte - erzählte ihm, daß der heilige Charles das Haustelefon benutzt, Jury angekündigt und ihr gesagt habe, sie solle sich, wenn möglich, zusammenreißen.
»Klar doch, verglichen mit den Moormorden und Jack the Ripper ist so eine kleine lokale Schießerei ein Klacks. Aber dennoch.« Er widersprach ihr zwar nicht, sie hob aber trotzdem die Hand und sagte: »Tut mir leid, tut mir leid. So kaltblütig bin ich nun auch wieder nicht. Die arme Nell steckt in einer verteufelten Klemme, aber irgendwie kriegen wir sie da schon wieder raus. Was zu trinken?« Und schon rauschte sie in ihrem mit Hibiskusblüten gemusterten Muumuu zum anderen Ende des Raumes, wo etwas stand, das nach einer alten Kanzel aussah.
Jury brauchte einen Augenblick, bis er wieder zu Atem kam und ihr Beleuchtungssystem würdigen konnte. Zwar warfen ein paar Stehlampen in der Nähe eines Sofas Lichtkegel auf den Boden, aber Rena Citrine schien Petroleumlampen mit schwimmenden Dochten und dicken Wachskerzen, die in Wandhaltern aus Eisen befestigt waren, den Vorzug zu geben. Die Petroleumlampen warfen lange Schattenfinger über einen massiven Eichentisch.
An einer Wand stand eine mittelalterliche Bank mit vielen farbenprächtigen Kissen, die dem Sitzkomfort indes auch nicht aufhalfen. An der gegenüberliegenden Wand befand sich ein Kamin mit verkröpftem Gesims und prächtig gemeißelter Kranzleiste. Sie bestand aus einer Reihe von kleinen Köpfen, von denen ein jeder unsäglich irre dreinblickte. Durch altertümliche, in das Achteck des Raumes eingelassene Spitzbogenfenster fielen Rauten von Licht ins Zimmer.
Ein zerkratzter Schreibtisch aus indischem Atlasholz beherrschte den Raum; auf ihm häuften sich Papiere, Manuskripte, Bücherstapel, dazu gesellten sich eine Schreibmaschine, ein Personal-Computer, Aschenbecher -jeder davon mit einer angerauchten Zigarette, so als erforderte jeder Zug ein eigenes Aschenbechergrab -, ein Wirrwarr von Flaschen; an der Wand lehnten mehrere in Öl gemalte Leinwände; Bücherstapel, vorwiegend gängige Romane. Auf dem obersten Bord standen kleine gerahmte Fotos, offenbar Schnappschüsse von ihren Reisen.
Jury beugte sich vor, um sie eingehender zu betrachten; Rena Citrine im Bikini an einem weißen Sandstrand; Rena auf einem Fischerboot; Rena und eine andere Frau, die zusammen einen riesigen Fisch hochhielten; etliche von Rena in Cafés und einem Klub, der mit seinen Palmwedeln, dem Peddigrohrgestühl und der zum Teil farbigen Combo nach Karibik aussah. Auf diesem Bild wurde sie fast zwischen einem Mann und der Frau von dem Fischfoto zerquetscht, und alle hatten jenes überaus fidele, falsche Lächeln aufgesetzt, das man für Klubfotografen bereithält. Zu beiden Seiten des Kamins und an der Wand hingen Poster von warmen Stränden und sonnenbeschienenen Meeren, woher auch diese Fotos stammen mußten. Barbados. Bimini.
Allein schon ihr Anblick machte, daß Jury in diesem Turm noch mehr fror. Diese Fotos vor dem Hintergrund finstersten Mittelalters warfen die Frage auf, ob er nicht gerade Zeuge einer Art apokalyptischen Kulturschocks war.
»Wie wäre es mit einem Planter’s Punch?«
Jury kehrte den Bildern den Rücken. »Einem was?«
Rena Citrine füllte einen silbernen Cocktailshaker. »Was hat Charles Ihnen angeboten? Ein Glas kalten Tee, oder ist er zum Brunnen gehumpelt und hat Wasser geschöpft?« Dazu schüttelte sie den Shaker.
Jury lächelte. »Offen gestanden, er hat mir Kaffee angeboten.«
»Und, ist der je aufgetaucht?«
»Ich wollte keinen.«
Die Flüssigkeit aus dem Shaker gurgelte in zwei hohe Cocktailgläser. Sie nahm sie, kam hinter der Kanzel hervor, die ihr als Barschrank diente, und reichte Jury eines davon. Der Drink sah blaßrosa aus. Er nippte; er rang nach Atem.
Sie schlug ihm kräftig auf den Rücken. Rena war stärker, als man bei ihren schmalen Schultern und den schlanken Armen vermutet hätte. »Direkt von Barbados, das Zeug. In punkto Rum sind die da nicht zu schlagen.«
»Das will ich auch gar nicht«, sagte er.
Irene Citrine schob Papiere von der Bank und schubste ihn mehr oder weniger auf seinen Platz; dann ging sie zur anderen Seite des Tisches, setzte sich auf die Bank gegenüber und räumte auch den Tisch von Papier frei. Er blickte sie mit vom Rum noch tränenden Augen an. Sie hatte ihr spitzes Kinn auf die verschlungenen Hände gelegt und starrte ihn aus Bernsteinaugen an, deren Iris schmal wie bei einer Katze waren. Ihre schmalen, abfallenden
Weitere Kostenlose Bücher