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Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor

Titel: Grimes, Martha - Inspektor Jury geht übers Moor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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gegebenen Umständen kann es ihr nicht schaden, oder?«
    Der Vater schüttelte den Kopf. »Wohl kaum. Manchmal frage ich mich, ob sie Roger geliebt hat.«
    »Sicher.«
    »Weil sie ihn geheiratet hat?«
    »Weil sie ihn erschossen hat«, sagte Jury trocken. »Sie sagen, daß die Sache >über Ihr Begriffsvermögen< geht, Mr. Citrine. Aber Sie kennen die beiden so viele Jahre, da müssen Sie sich doch Gedanken darüber gemacht haben, was sie zum Mord an ihrem Mann veranlaßt hat.«
    Citrine hatte die Pfeife wieder in Gang bekommen, und der Rauch kräuselte sich in der kalten Zugluft, die Jury im Nacken spürte und die wahrscheinlich von dem klappernden Fensterrahmen am anderen Ende des Raumes kam. »Vielleicht wegen Billy, Rogers Sohn. Wissen Sie darüber Bescheid?«
    Jury nickte. »Und über den kleinen Holt. Doch das ist schon lange her.«
    »Ja. Die armen Holts. Nur ein Adoptivkind, glaube ich.«
    Rogers Sohn. Und Toby nur ein Adoptivkind. In dieser Gegend war Blut sehr viel dicker als Wasser. »Für eine Mutter könnte es wie gestern gewesen sein.«
    »Die richtige Mutter ist bei einem Unfall ums Leben gekommen, als Billy noch ganz klein war. Nell war die Stiefmutter.«
    Schon wieder.
    Warum war allen so daran gelegen, das herauszustellen? Daß Nell Healey allenfalls verwässerte mütterliche Gefühle gehabt haben konnte? »Angenommen, es hatte mit der Entführung vor acht Jahren zu tun -« Citrine wollte aufbegehren, doch Jury kam ihm zuvor. »Nehmen wir das einfach mal an. Was könnte damals passiert sein, das sich über die Jahre in Ihrer Tochter aufgestaut hat?«
    »Sie meinen, daß wir das Lösegeld nicht gezahlt haben?«
    Jury wartete.
    »Also, wenn sie sich rächen wollte, weil wir uns weigerten-« Citrine machte eine hilflose Geste.
    »Mit >wir< meinen Sie Roger Healey und sich.«
    »Wir haben lediglich die Ratschläge der Polizei befolgt, Superintendent.«
    Citrine rutschte jetzt auf seinem Stuhl hin und her, und Jury fiel wieder die kleine Spinne ins Auge, die sich nach einer flüchtigen Berührung mit dem Stuhlbein jetzt an ihrem seidenen Lebensfaden fast auf den Boden fallen ließ. So viele angeknackste Beziehungen in einer einzigen Familie, das hatte er noch nicht erlebt. Sie waren bestenfalls gespannt. Schlimmstenfalls leicht reißbar.
    Citrine konnte nicht ahnen, daß Jury das Geheimnis kannte; daß das Geld Nell Healey gehörte und daß sie es gewesen war, die sich geweigert hatte zu zahlen. Soweit Charles Citrine wußte, kannten nur er selber, Roger Healey, Nell, der Banker von Lloyd’s und der mit dem Fall beauftragte Superintendent das Geheimnis. Den Sergeant hatte Citrine vermutlich längst vergessen: Brian Macalvie.
    Ein schmaler Durchlass, breit und hoch genug für einen Menschen, führte zum Turm, an dessen Fuß Jury eine kleine Tür fand. An einem Eisenständer hing eine Glocke mit herunterbaumelndem Strick. Er zog daran; die Glocke schepperte, dann summte es. Jury betrachtete die Tür eine geraume Weile, denn er wußte nicht recht, woher der Summton kam. Schweigen. Er zog erneut am Glockenstrang, und wieder summte es. Es schien sich um ein ähnliches Sicherheitssystem wie in Londoner Mietshäusern zu handeln; Jury zog an dem schweren Eisenring. Die Tür öffnete sich.
    Sie öffnete sich zwar, aber Jury konnte kaum die Hand vor Augen sehen. Das schummrige Licht der Wandleuchten verzerrte seinen Schatten so grotesk wie in einem Spiegelkabinett. Und dann ging es die Steinstufen hinauf, immer rundherum. Gott sei Dank, dachte er, bin ich schwindelfrei, sonst würde ich auf halber Strecke aufgeben. Rundherum und immer rundherum, aber er blieb nur einmal stehen, um seinen Schlips zu lockern. Und er bemühte sich, nicht auf die Stufen zu sehen, denn er spürte mehr, als daß er sah, wie etwas die Treppe hinunterhuschte.
    Irene Citrine legte wohl mehr Wert auf ein ungestörtes Privatleben als auf Besucher. Schwer vorstellbar, daß irgendwelche Busenfreundinnen zu Tee und belegten Broten unter Gekicher diese kalten Stufen hochkraxelten.
    Plötzlich fiel ein Lichtstrahl auf die Treppe, und um die Biegung herum flötete man ihm eine Begrüßung entgegen. »Tut mir leid, das mit der Treppe und der Sicherheitsanlage«, sagte Irene Citrine. Ihre Silhouette füllte den Türrahmen mehr oder weniger aus. »Aber man weiß nie, wer sich alles draußen auf dem verdammten Moor herumtreibt.« Sie nahm Jurys Hand in einen festen Griff und hievte seine einsfünfundachtzig gleichsam über die Schwelle.
    Irene Citrine

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