Grimes, Martha - Mordserfolg
Augen selten geweidet hatte. Es kam kaum einmal vor, dass er sich weiter unterhalb der 38. Straße wagte, ob West oder Ost, und in den letzten zehn Jahren war er gar nie dort gewesen. Seine mentale Landkarte dieses im tiefsten Downtown gelegenen Teils der Stadt war bedeckt mit Flaum, Fusseln und Staub. Vor vielen Jahren war er ganz unten in der Greene Street gewesen, um sich mit einem von Mackenzies jungen Hoffnungsträgern zu treffen. Draußen vor irgendeinem Café hatte man an einem Tisch auf dem Bürgersteig gesessen. Das Merkwürdige daran war, dass er den Autor vergessen hatte, und das Buch und was sie beide gesagt hatten – das kleine Eckchen von Greenwich Village, keilförmig wie das Flatiron Building, war ihm dagegen unverrückbar im Gedächtnis haften geblieben.
Clive fragte sich, warum. Und warum er nie wieder dorthin gegangen war.
Bobby Mackenzie, der schon immer eine etwas seltsame Haltung zur Realität gehabt hatte, war also endlich auf einen Plan gekommen, bei dem sich Habgier und Einfallsreichtum sinnig verbanden und der wahrlich das Signum von Mackenzie-Haack verdiente. Dagegen war der Rausschmiss von André Schiffrin ein Klacks. Dagegen war HarperCollins hundertfacher Vertragsbruch kaum das Porto wert, das die Rücksendung der Manuskripte gekostet hatte.
Wieso hatte Bobby es nicht einfach so gemacht? Irgendeine Bagatelleklausel in Ned Isalys Vertrag gefunden, irgendetwas Inakzeptables in Isalys Manuskript, was die Veröffentlichung des Buches »unmöglich machte«?
Nun, Clive hatte die Antwort bereits gegeben, nicht? Über dem ganzen finsteren Plan prangte das Firmenlogo von Mackenzie-Haack.
So stand er nun also am Chelsea Pier 61 im düsteren, trüben Licht und wartete. Seit er ein kleiner Junge gewesen war, liebte Clive den Nebel. Nebel war dieser graue Bereich zwischen Schwarz und Weiß, er war Medium der Täuschung und des Vergessens. Man konnte sich darin verstecken, und man konnte geheimnisumwoben daraus hervortreten.
In dieser grüblerischen Stimmung sah Clive (den Mantelkragen immer noch fest gepackt) eine schwarze Gestalt auf sich zukommen und wie ein kleines Schiff den Dunst auf der Pier durchpflügen. Er schüttelte sich.
Danny Zito stand vor ihm, von Kopf bis Fuß in totales, kompromissloses Schwarz gehüllt. Er sah aus, als hätte er das Zeugenschutzprogramm persönlich erfunden.
»Clive-O!« Danny setzte immer ein zärtliches O ans Ende von Namen, auch von denen (stellte Clive sich vor) der meisten Männer, die er ermordet hatte. Er streckte eine Hand zu einem herzhaften Handschlag aus.
Clive streckte seine ebenfalls aus und spürte, wie die kleinen Knochen in Dannys plötzlichem Zugriff fast zermalmt wurden, wie wenn ein Baseballschläger gegen einen Ball knallt. »Dan…« Clive hielt sich gerade noch zurück. »Verzeihung – Jimmy.«
»Ach, vergessen Sie’s. Hört sowieso niemand zu. Hat wahrscheinlich sowieso noch nie jemand.«
Clive runzelte die Stirn. Danny konnte manchmal ganz schön unergründliche Bemerkungen machen.
Bedächtig kaute Danny seinen Kaugummi. »Haben Sie ihn dabei?«
Verstohlen, wie ein Dealer, der eine mit weißem Pulver gefüllte Plastiktüte mit Reißverschluss zutage fördert, zog Clive den Vertrag aus der Tasche. Er war im Schnellverfahren aufgesetzt und unterzeichnet worden. Normalerweise dauerte es Monate, ohne Beteiligung eines Agenten genügten jedoch Minuten.
Danny entfaltete ihn schwungvoll. Verzaubert funkelte das Papier in der Dunkelheit – ein Buchvertrag von einem renommierten New Yorker Verlag, Aphrodisiakum jedes Schriftstellersymposiums, jeder Autorenwerkstatt, jeder Konferenz, jedes Kongresses. Selbstverständlich lohnte es sich, dafür zu morden.
»Bloß eine Ausführung?« Flink ließ Danny die elf bis zwölf Seiten durch die Finger gleiten.
»Die anderen schicken wir nach.«
Danny holte eine kleine Taschenlampe in Schreibstiftform hervor. (Bei der Bewegung hatte Clive eine hysterische Sekunde lang Angst, er wolle den Vertrag verbrennen, ihn in den Hudson schleudern und eine Waffe ziehen.) »Ich schau ihn mir bloß kurz mal an. Wieder die gleichen Bedingungen? Bessere Taschenbuchbeteiligung hätte ich aber schon gern, sagen wir, fünfundfünfzig Prozent für mich, fünfundvierzig für den Verlag?«
Mann, diese Schriftsteller! Clive hatte gute Lust, ihm eine zu knallen. Unter äußerster Zurückhaltung sagte er: »Das lässt sich arrangieren, denke ich.«
Etwas anderes hatte Danny offensichtlich gar nicht erwartet. »Und
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