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Grimes, Martha - Mordserfolg

Grimes, Martha - Mordserfolg

Titel: Grimes, Martha - Mordserfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Spiegel starren, während die Wörter in ihrem Kopf gerannen und zu einem Schlusspunkt erstarrten. Ging es nicht einfach darum, die Wörter im Kopf auf die Seite zu übertragen? Wieso schienen einem dann die Wörter so ungreifbar? Sie hatte es immer wieder versucht, und jedes Mal war das Gleiche passiert. Es war zum Heulen.
    Ohne von ihren eigenen bescheidenen Versuchen zu erzählen, hatte sie Tom Kidd gefragt. Der hatte sich die Frage erst genau durch den Kopf gehen lassen (einer der Gründe, weshalb sie ihn so mochte) und ihr dann gesagt, dass Autoren einfach ins Leere starrten und dann irgendetwas aufschrieben. Es konnte zwei Minuten oder zwei Wochen dauern. Vielleicht war es etwas, was gewöhnliche Sterbliche nicht schafften. Nicht das Schreiben (sagte Tom), sondern das Warten.
    »Das klingt jetzt so, als wären sie was Heiligeres oder Vornehmeres.« Sie war über seine Antwort höchst irritiert gewesen.
    Auch das ließ Tom sich durch den Kopf gehen. »Heilig, vielleicht schon – aber nicht vornehm.«
    Sie unterhielten sich viel über solche Sachen, wenn sie manchmal in Toms Büro zusammen zu Mittag aßen. Dann brachte Sally ihre Kühltasche mit den aufgedruckten bunten Kätzchen mit, und Tom holte seine braune Papiertüte hervor, in der er immer sein Hähnchenfleisch-Sandwich hatte. Auf lappigen weißen Toastbrotscheiben. Das gleiche Sandwich machte ihm seine Frau schon seit Jahren, und bei jedem Mittagessen behauptete er, es sei das beste Hähnchenfleisch-Sandwich auf der Welt. Einmal hatte Sally ein Viertel von seinem Sandwich angenommen und probiert, ob es stimmte. Sie hatte erwartet, nun Sterne zu kosten oder den Silberstaub eines Kometenschweifs, nur um enttäuscht festzustellen, dass es sich als schlichtes Hähnchen entpuppte. Einfach bloß Hähnchenfleisch, Butter und lappiges Brot. Trotzdem hatte sie Hmmm gemacht und gesagt, ja, er habe Recht.
    Nach ungefähr hundert fehlgeschlagenen Versuchen, etwas Literarisches zu schreiben, spielte Sally mit dem Gedanken, Sachliteratur zu verfassen. Möglicherweise war das ihre Stärke. Sie glaubte es zwar nicht, fragte Tom jedoch eines Tages, ob jemand schon einmal ein Buch über die schiere Qual des Schreibens verfasst habe.
    Ob es die schiere Qual sei, wisse er nicht, hatte Tom gesagt, falls sie aber unglaublich harte Arbeit meinte, könne er dafür vier seiner eigenen Autoren ins Feld führen. Dem Rest – weiß Gott, dem gesamten Rest im Verlag – ging es anscheinend kinderleicht von der Hand. Jedenfalls sei ihm von Sachliteratur zum Thema Schriftstellerqualen nichts bekannt (obwohl ihm sofort eine ganze Reihe von belletristischen Texten über Qualen einfiel). Allerdings gebe es eine Menge relativ wertloser Ratgeber. Die lasen Möchtegern-Schriftsteller zum Spaß, nicht weil sie von ihnen Orientierung erhofften.
    Obwohl er sich natürlich bestimmt denken konnte, weshalb Sally diese Fragen stellte, hielt er damit hinterm Berg. Er war viel zu sehr Gentleman, als dass er sie in eine peinliche Lage versetzt hätte.
    Sie dachte über Ned und Saul und Heiligkeit nach. Was meinte Tom überhaupt mit »heilig«? Sie hatte das Wort ziemlich verächtlich ausgesprochen, und er hatte es zumindest teilweise ernst genommen. War es so etwas wie Hingabe? Nein, es musste mehr sein, oder etwas ganz anderes.
    Das Telefon klingelte wieder in dem Moment, als die Faxmaschine anfing, Seiten auszuspucken. Sie teilte dem Anrufer mit, Bobby sei auf einer Vertriebsbesprechung, und der Anrufer legte auf. Die Faxmaschine stoppte. Sie achtete nicht darauf.
    Und Konzentration, was war damit? War das etwas irgendwie »Heiliges«? Zentriert zu sein? Fokussiert? Ned und Saul hatten jedenfalls beide die Fähigkeit dazu. Es hatte fast etwas Transzendentes, wie sie es schafften, sich ihre Persönlichkeit als Schriftsteller zu bewahren. Sally fragte sich, ob dieser zentrierte, transzendente Teil umso größer wurde, je mehr diese Fähigkeit benutzt wurde, bis er eines Tages das ganze Ich umfasste. Bis sie mit ihrem Schreiben eins wurden, bis sie selbst zu ihren Protagonisten wurden. Unglaublich, dachte sie, wenn man sich nicht länger herumschleppen musste, als wäre einem ein lebloser Körper ans Fußgelenk gekettet, jener Teil des Ichs nämlich, der über die Gleichgültigkeit von Verlegern weinte, über schlechte Kritiken jammerte und – sobald man in der New York Times Book Review auf dem vierten Platz gelandet war – gegen die drei anderen wetterte, die einen auf dem ersten, dem zweiten und

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