Grimes, Martha - Mordserfolg
fremden Tür erfahren hatte. »Ich muss Ihnen was sagen. Es ist –« Sally verstummte.
Tom hatte sich eine Zigarette angezündet und blies den Rauch von ihr weg.
Wieso sagte sie es nicht? Ich glaube, die wollen Ned Isaly fertig machen. Wie hieß der Vogel mit der Feuerzunge, der mit erloschenen Flammen auf die Erde fiel, nachdem er sein schwer lastendes Wissen übermittelt hatte? Was ihn am Fliegen hielt, war das, was er wusste.
Ned versuchte, Tom Kidd telefonisch zu erreichen. Die Leitung war andauernd besetzt. Selbst das Besetztzeichen hörte sich an wie das Geräusch eines Presslufthammers.
Er wandte sich zum Fenster und sah auf den Park hinunter. Der größte Teil war hinter einer Reihe von Zweigen verborgen, und er konnte das Zinnienbeet nicht sehen. Ein unruhiger Wind peitschte die Zweige auseinander.
War das Saul dort unten? Der Wind eröffnete ihm den Blick auf den alten Kater, der gemächlich über den Gehweg tigerte. Sie hatten nie herausgefunden, woher er kam, und er ließ sich nie blicken, wenn der alte Stadtstreicher und sein Hund da waren. Der Kater wirkte wohlgenährt.
Ned hatte vor, gleich auszugehen. Vorerst lehnte er jedoch die Stirn an die kalte Scheibe und sah zu, wie der Wind an den Blättern riss, blickte in den Himmel und dachte dabei, wie sehr sich Abend- und Morgendämmerung doch glichen. Die mit Smog angereicherten Morgendämmerungen in Pittsburgh kamen ihm in den Sinn. Stadtschnee. Er sah sich am Ende jener Brücke stehen (wie hieß sie noch gleich?), die von vier Pantern geziert wurde, zwei an jedem Ende. Die Brücke spannte sich über Panther Hollow. Er hatte da gestanden und die Statuen angesehen und dabei ein Eis in der Tüte geschleckt, mit drei Kugeln: Schokolade, Erdbeere und Vanille. Ganz sicher war er sich aber nicht, oder doch? Wusste er überhaupt mit Sicherheit, dass es über Panther Hollow eine Brücke gegeben hatte? War er sich überhaupt sicher, was Panther Hollow betraf?
Benommen, als wäre er gerade aufgewacht, griff er nach seiner Windjacke und stellte fest, dass er weit abgeschweift war vom Jardin des Plantes.
Wenn sie es ihm nicht sagte, hätte Ned keinen mächtigen Verbündeten vom Schlage eines Tom Kidd. Da stand er, ein zierlich gebauter Mann mit seidigem Haar, der beste Lektor in ganz New York, einer, der wusste, wie ein Lektor zu sein hatte. Tom war ein Träumer und Schwärmer, ein leidenschaftlicher Verfechter der verlorenen Sache der Literatur.
Schon oft war sie unter dem einen oder anderen Vorwand in Toms Büro gewesen – um Bücher ins Regal zurückzustellen, sich Texte abzuholen, hatte schwer beschäftigt getan und vorgegeben, als hörte sie nicht zu, wenn Ned da war – Ned oder Chris Llewelyn oder jemand von den anderen guten Autoren von Mackenzie-Haack –, und nie hatte sie auch nur ein Wort über Verkaufszahlen gehört, über Werbemaßnahmen, Öffentlichkeitsarbeit oder die verdammte Bestsellerliste. Es ging ihnen nur ums Schreiben und nicht unbedingt um ihr eigenes Schreiben. Schreiben war alles.
Dies alles ging Sally durch den Kopf, während sie sagte: »Nichts. Es ist nicht wichtig.«
Er wartete (weil es offensichtlich »wichtig« war), half ihr aber nicht auf die Sprünge. Er sagte: »Ein hübscher Blumenstrauß, Sal. Sie sollten immer blaue Blumen haben.«
Tom ging, und sie hatte das Gefühl, durch eine strenge Prüfung gefallen zu sein. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht und spürte gleich darauf, wie Tränen zwischen ihren Fingern hindurchdrangen. Feige Nuss! Sie streckte die Hand nach dem Buch aus, das sie gerade las. Mit dem blauen Ärmel wischte sie sich über die Augen, schlug das Buch auf, zog mit der anderen Hand ihre Schreibtischschublade auf und holte ein Kremtörtchen heraus.
Es war Henry Sumas neues Buch, hätte aber genauso gut irgendein anderes sein können. Sie las und aß und beruhigte sich wieder.
Saul sah zu, wie sich der alte Kater vor die beiden Anzugträger hinsetzte. Er lächelte. Eine Geschichte: Der Kater sorgt für Spannung, der Kater wird zum Fixpunkt. Saul konnte einfach nicht anders, als sich eine passende Szene auszudenken. Welcher Autor konnte das schon? Das war arrogant, dachte er, vielleicht konnten es viele, fänden überhaupt nichts daran.
Aber vielleicht war es so: Wir denken wie in Träumen. Wir werfen alles Mögliche in einen Topf, weil wir glauben, es passt alles zusammen, wird sich schon zusammenfinden, egal wie unpassend die Zusammenstellung ist. Fließend wie ein Traum und doch stetig wie
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