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Grimes, Martha - Mordserfolg

Grimes, Martha - Mordserfolg

Titel: Grimes, Martha - Mordserfolg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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dorthin eingeladen hatte, um Geburtstage und Festtage zu feiern, und Jamie sie zu jedem Erscheinen eines ihrer Bücher dorthin ausführte, speisten sie recht häufig im Old Hotel. Merkwürdig, dachte Sally manchmal, dass diese drei aufeinander nicht eifersüchtig waren. Mehr als seltsam – es war äußerst ungewöhnlich. Sie schienen ihren gegenseitigen Wert zu kennen und zu achten.
    Was die vier oft – jedes Mal wie von neuem überrascht – erwähnten: Es wirkte so gar nicht künstlich oder wie ein Pseudohotel. Bei dem großen, rötlich braunen Sandsteingebäude aus der Vorkriegszeit fragten sie sich, ob es früher tatsächlich einmal ein Hotel gewesen war. Ob es vielleicht ein Hotel war, das in eine Bar mit Restaurant umgewandelt worden war, statt eine Bar mit Restaurant, die sich Hotel nannte.
    Ned redete gern davon, was sich hier wohl alles abgespielt haben mochte, und dachte sich Geschichten über Gäste aus, die früher vielleicht einmal hier gewesen waren. »Das Manhattan der vierziger oder dreißiger Jahre.«
    Die Bar, deren Name, »Lobby«, auf einem kleinen Holzschild über dem Eingang stand, sah auch genau so aus, mit vielen bequemen Sesseln und kleinen Sofas, die mit Leinenstoffen und ausgebleichtem Kretonne bezogen und um kleine Tische gruppiert waren. Über der dunkelroten Flockdrucktapete hingen ein gutes Dutzend handkolorierter Gibson-Girl-Zeichnungen. Dazu Drucke aus Godey’s Lady’s Book , dem damaligen Modemagazin – Frauen mit großen Hüten, geschnürten Taillen und hochgeschoppten Ärmeln. Muschelförmige Wandleuchten spendeten gedämpftes Licht, und es gab einen Kamin mit großem, messingbeschlagenem Kaminbesteck. Die Luft duftete nach Minze, und sie hatten vergeblich versucht, herauszufinden, wo der Duft herkam, bis Ned berichtete, der an die Theke gegangen war, um sich noch einen Drink zu holen, der Barkeeper sei berühmt für die besten Mint Juleps weit und breit, was Gäste aus Kentucky, Georgia sowie North und South Carolina als korrekt bestätigten.
    Daraufhin hatten sich alle Mint Juleps bestellt und waren an die Theke umgezogen, um auf Barhockern sitzend zuzusehen, wie sie zubereitet wurden. Es war ein aufwändiges Verfahren – kein Wunder, dass sie mehr als doppelt so viel kosteten wie alle anderen Drinks.
    Die Letzte, die von der Existenz dieses Lokals erfuhr, war Jamie. Sie hatte die minzegeschwängerte Umgebung der Lobby betreten, sich mit großen Augen staunend umgeschaut und dann gesagt, sie habe noch keinen Ort gesehen, der der Fremdenpension ihrer Tanten in Savannah so sehr ähnelte. »Wahnsinn, das ist ja direkt unheimlich. Das hier ist natürlich viel größer und mit mehr Möbeln und Ausstattung, aber es sieht genauso aus wie bei Tante Eloise und Tante Jeb.«
    Mit einem staunenden Ausdruck im Gesicht war Jamie selten zu sehen, denn die Fähigkeit zum Staunen war ihr in den nüchternen, verkniffenen, spärlich bekleideten Welten, in denen sie sich jeden Tag bewegte, größtenteils ausgetrieben worden.
    (Saul war derjenige, der sich so über Jamies Schreibwelten geäußert hatte: Liebesromane, Detektivgeschichten, Sciencefiction. Sehr merkwürdig, hatte er gesagt. Denn das waren Themen – Mord, Liebe, Realitätsveränderung –, die eigentlich die Fantasie jedes Schriftstellers beflügeln sollten, Themen, die einem die Muse gefügig machen sollten. Und doch funktionierte es nicht so.)
    Ned hatte oft gesagt, er sei überzeugt, dass Jamie härter arbeitete als er und womöglich härter als sie alle zusammen. Es ärgerte ihn maßlos, wenn irgendein Schreiberling bei einem Glas Bier behauptete, Jamie bräuchte die Protagonisten in ihren Krimiserien doch bloß in die Luft zu schmeißen und aufzuzeichnen, wie sie herunterfielen. Und wenn der Kerl dabei auch noch verächtlich lächelte.
    Nein, meinte Saul, das meinte er gar nicht. Weit davon entfernt, das weite, offene Feld zu genießen, auf dem keine Regeln herrschten, säße Jamie in einem engen, stickigen Raum fest und sei dabei auch noch mit der ständigen Gefahr konfrontiert, dass die Wände näher rückten. »Dadurch wird es ja erst Genreliteratur, nicht durch das Thema an sich. Das ist Schreiben um seiner selbst willen. Da wird die Welt eingeengt und zurechtgestutzt, bis sie in die allgemeingültigen Regeln passt.«
    Saul hatte sich richtig ereifert und im betrunkenen Zustand eine flammende Rede über dieses Thema gehalten. Seine Stimme war volltönend, tief und besänftigend, und dies umso mehr, nachdem er sich ein

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