Grimes, Martha - Mordserfolg
fragte sich, was Sally da wohl belauscht hatte. Wahrscheinlich gab es ein Dutzend verschiedene Erklärungen. Allerdings wusste Saul, dass Bobby Mackenzie keine Skrupel kannte. Er würde alles tun, um sich ein Buch oder einen Schriftsteller unter den Nagel zu reißen. Aus diesem Grund hatte Saul sich auch geweigert, zu Mackenzie-Haack zu gehen, obwohl ihn seine damalige Agentin unbedingt dort hatte unterbringen wollen. Zur Untermauerung hatte sie behauptet, Mackenzie-Haack sei »ein viel besseres Haus, literarischer, prestigeträchtiger. Ums Geld (hatte sie gesagt) ginge es gar nicht.«
»Sie sind die Agentin, und die sind der Verlag. Es geht immer ums Geld.« Hatte sie den stechenden Vorwurf überhaupt gespürt? Vermutlich nicht, Agenten waren offenbar der Ansicht, ihnen könnte niemand einen Vorwurf machen. Als sie weiter auf Mackenzie-Haack gedrungen hatte, hatte er sich vor ihr getrennt.
Er setzte sich wieder in den Ohrensessel und zog ein zerknittertes Zigarettenpäckchen aus der Hosentasche. Als ihm einfiel, dass er die letzte schon geraucht hatte, zog er sich die silberne Zigarettenschatulle herüber. Er benutzte sie eigentlich nie und nahm an, dass die Zigaretten darin bestimmt alt waren. Einige Gegenstände im Zimmer hätte er sich selbst nie ausgesucht – den bestickten Kaminschirm zum Beispiel –, doch ließ er immer alles an seinem angestammten Platz, wie seine Mutter, die es bestimmt aus dem gleichen Grund getan hatte, denn er konnte sich erinnern, wie sie ihn manchmal ermahnt hatte, wenn er etwas in die Hand genommen und dann woanders hingelegt hatte (»Das ist das Lieblingskissen deiner Tante Livvy, also leg es schön wieder auf ihren Sessel, Lieber.«).
Der Verlustschmerz ließ ihn gequält zusammenzucken. Don’t go there, fang nicht damit an, sagte er sich, bevor ihm klar wurde, dass es ja der Titel von Paul Giverneys neuem Buch war. Er hatte es diesen Morgen auf der Tenth Street gesehen, als er in der Nähe des Washington Square bei Barnes & Noble vorbeigeschaut hatte. Es sei ihm gegönnt, dachte Saul. Ruhm und Geld! Er fragte sich, inwieweit Geldmangel eigentlich einen Einfluss auf das hatte, was ein Schriftsteller tat, wie gut seine Bücher am Ende wurden. Irgendwie musste es sich doch schließlich darauf auswirken. Er hatte Glück, so viel Geld zu haben, wie er brauchte. Andererseits, konnte man einwenden, wäre er ohne Geld besser dran gewesen, denn dann wäre er vielleicht dazu gezwungen, das Buch zu beenden.
Don’t go there – geh da nicht hin! Saul dachte über Pittsburgh nach. Er nahm das Telefon, das in Reichweite stand, stellte es wieder hin. Dann ging er zum Bücherregal hinüber und nahm einen Reiseführer über Pennsylvania zur Hand. (Obwohl er selten verreiste, besaß er von überall Reiseführer.) Er suchte die Übernachtungsmöglichkeiten in Pittsburgh heraus, stieß auf das Pittsburgh Hilton und rief dort an. Jawohl, ein gewisser Mr. Isaly wurde für morgen erwartet, ob er eine Nachricht hinterlassen wolle? Nein, keine Nachricht. Er legte auf. Als Saul die Beschreibung las, wunderte er sich nicht, dass Ned sich das Hilton ausgesucht hatte: Es lag genau auf dem Point, also an der Stelle, wo die Flüsse sich trafen.
Saul nahm den Reiseführer mit zu seinem Ohrensessel und schenkte sich zwischendurch noch einen kleinen Brandy ein. Er setzte sich und dachte an die Männer in den Anzügen, die beiden »Anzugträger«, wie er sie inzwischen nannte. Warum erschienen die eigentlich ständig auf der Bildfläche?
Würden sie, überlegte er, womöglich auch in Pittsburgh auftauchen?
Saul schaute ins Buch, suchte sich noch einmal die Nummer heraus, rief ein zweites Mal im Hilton an und gab eine Reservierung durch.
Wie die Frau in seiner Geschichte war Saul sich nicht ganz sicher, wohin er ging oder warum.
Pittsburgh
29
Als er ein kleiner Junge war, hatten sie einmal einen schneelosen Winter gehabt und er hatte die ganze Zeit vom Schnee geträumt – in Tagträumen und bei Nacht. Er erinnerte sich, wie er zu Hause im Wohnzimmer auf der Bank in der Fensternische hockte und auf einen Hügel hinausstarrte, der den perfekten Steilwinkel hatte – zum Schlittenfahren oder für diese runden Aluminiumschalen, auf die man sich setzte und den Berg hinunter trudelte, oder auf alten Gummireifen, die dem gleichen Zweck dienten. Zusammengekauert hockte er auf der Bank in der Fensternische und stellte sich den Hügel vor, mit einer feinen Eiskruste überzogen, die
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