Grimes, Martha - Mordserfolg
trocken. Sie aß zwei Bissen, wickelte es wieder ein und warf es in einen Abfalleimer. Ned stand bereits seit einer guten halben Stunde dort und sah den Jungen beim Spielen und dem kleinen Mädchen beim Graben zu.
Wieso tat er das? Was hatte er im Sinn? Sally seufzte und beugte sich vor, den Ellbogen aufs Knie und das Kinn in die Faust gestützt.
Wenn sie Ned etwas antun wollten, bot sich hier reichlich Gelegenheit, denn der Park war beinahe menschenleer. Saul fragte sich, ob Ned wohl als kleiner Junge hier gespielt hatte, so wie die Jungs dort drüben, die einfach nur herumkickten, um die Zeit totzuschlagen (die hatten noch Zeit zum Totschlagen).
Saul selbst erinnerte sich an Bücher, wenn er an früher dachte. An die Bank zu Hause in der Fensternische, an das Fenster, wo der kleine Schreibsekretär stand, und daran, dass er hinausgesehen hatte, wenn um vier Uhr die Dämmerung hereinbrach und der Schnee gemächlich am Fenster vorbeitrieb, beleuchtet von der Straßenlaterne an der Ecke, und daran, dass seine Mutter ihm Kakao brachte.
Hatte es sich tatsächlich so zugetragen oder war seine Version dieser Kindheit schon die überarbeitete? Nein, es hatte sich so zugetragen. Schnee im Winter, Laub im Herbst. Seine Mutter mit Kakao auf einem Tablett. Ihm drängte sich dadurch, dass er hierher gekommen war und sich mit Neds Kindheit auseinander setzte, seine eigene auf.
Clive hatte Lust, dazwischenzugehen und dem Ball einen kräftigen Stoß zu versetzen, zwei Stöße, drei, vier, ihr ganzes Spiel durcheinander zu bringen, nur zum Spaß. Den Ball weiß Gott wohin zu kicken. Oder dort hinüber zu gehen, wo die Kleine im Dreck wühlte, und ihr den Eimer wegzunehmen, bloß um sie weinen zu sehen.
Wo steckte eigentlich Blaze, wo war seine verdammte Schnüfflerin? Ach, da war sie ja, bei dem Baum drüben. Seltsam, wie es ihr gelang, mit den Herbstfarben zu verschmelzen, als wäre sie selbst bloß verwehtes Laub. Sie verschmolz damit jedoch nicht annähernd so perfekt wie die hoch gewachsene Gestalt, die Clive hinter einem Baum hervorlugen sah – nein, es war wohl bloß ein Ast gewesen, der sich im Wind bewegt hatte. Meine Güte, war das eine Kälte!
Ned schloss die Augen und wippte auf den Absätzen auf und ab. Er beobachtete eine hellhaarige Frau, die einem kleinen Mädchen dabei zusah, wie es behutsam Erde vom Boden in einen Eimer schüttete. So ein kindlicher Zeitvertreib, den Erwachsene nie ganz begreifen können, weil er ohne Sinn und Zweck geschieht. Darin lag aber auch seine Anziehungskraft – etwas zu tun, dessen Sinn und Zweck einfach der war, dass man es tat.
Irgendwo hatte er schon einmal gehört, dass man durch einfache Beobachtung (aber war es so einfach?) eine Landschaft meistern konnte. Ned wusste nicht recht, was »meistern« hier bedeutete. Er versuchte, es auf sich wirken zu lassen – das trockene Braun der Blätter und Zweige, die Kickball spielenden Jungen, die mit Tannenduft geschwängerte Luft – er wollte, dass sich diese Stimmung über ihn legte wie eine Decke.
Man musste die Landschaft aus jedem erdenklichen Winkel betrachten. Wer hatte das in Bezug auf Landschaften gesagt? Vermutlich Saul. Oder vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich war es Tom Kidd gewesen.
»Wie lang bleibt er?«, wollte Karl wissen.
»Noch ein Weilchen. Fliegt übermorgen nach New York City zurück.« Candy bückte sich und hob ein Blatt vom Gehweg auf. Nachdem er den letzten Rest Zuckergeschmack aus seinem Kaugummi gesogen hatte, nahm er den Klumpen aus dem Mund, wickelte ihn vorsichtig in das Blatt ein und schnippte es zu einem Abfalleimer aus Drahtgestell hinüber, in dem es landete. »Nehmen wir den Job an?«
»Ich weiß nicht. Was meinst du denn?«
»Ich weiß nicht.«
Mit dem Kleingeld in den Hosentaschen klimpernd, rutschte Karl auf der Bank ein Stück weiter nach unten und ließ den Blick umherschweifen, als stünde die Antwort auf Candys Frage irgendwo im Schenley Park geschrieben. »Für die Entscheidung ist es noch zu früh, C. Du weißt ja, dass wir uns immer mindestens eine Woche Zeit lassen. Stimmt’s?« Auf Candys Nicken fuhr Karl fort: »Drum machen wir ja auch keine Fehler.«
»Wie bei diesem Scheißkerl Robanoff. Wenn’s je einer verdient hat, dass er kaltgemacht wird, dann der.« Candy nahm seine Baseballkappe ab, strich sich das Haar zurück und setzte die Kappe wieder auf. »Wir hätten – du weißt schon – in grober Pflichtvergessenheit gehandelt, wenn wir ihn nicht kaltgemacht hätten. So
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