Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
nicht, was sie zu bedeuten haben“, stellte Nick fest und sammelte die Flyer wieder ein. „Eine Chance haben wir allerdings noch.“
„Tante Maries Wohnwagen?“
Nick nickte. „Kommst du mit?“
„Ich muss noch ein paar Anrufe machen.“
„Wenn ich was finde, lasse ich es dich wissen.“
Als Nick den Raum verließ, wählte Hank die nächste Telefonnummer.
K APITEL S ECHSUNDZWANZIG
Nishimura Koji saß zusammengesackt an der Kellerwand, die Eisenkette wog schwer um seinen Hals, und sein rechtes Auge, auf das ihn sein Entführer bei seinem Fluchtversuch geschlagen hatte, war angeschwollen.
Er hatte die Arbeit nach der Abendschicht bei Office Silo, einer Ladenkette für Bürobedarf, verlassen, war aber nicht einmal bis zu seinem Wagen gekommen. Seitdem er zusammen mit den anderen Gefangenen in diesem Keller festgehalten wurde, hatte er seinen Entführer nicht mehr gesehen. Allerdings war ein anderer Mann mehrmals hereingekommen und hatte einen von ihnen unter den lauten Protesten und Schreien aller mitgenommen. Dieser riesige Mann trug eine Art teuflische Maske mit Hörnern, um ihnen Angst einzujagen.
Während die Stunden vergingen und die Fesseln um seine Hand- und Fußgelenke bei jeder Bewegung klirrten, bekam Nishimura zunehmend das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein, aus dem er nicht aufwachen konnte. Der feuchte Knebel in seinem Mund und der Gestank in diesem Keller waren ekelerregend.
Aber er hörte aus den Zimmern über ihnen leise klassische Musik, die wie makelloser Schnee auf eine Senkgrube herabrieselte. Wenn er ganz stillhielt, konnte er das Cembalo, das Cello, die Bratsche und die Flöte heraushören.
Er hatte mal eine Freundin gehabt, die klassische Musik liebte und ihn im Lauf ihrer achtzehnmonatigen Beziehung in mehrere Konzerte mitgenommen hatte. Da er sie – zumindest eine Zeit lang – sehr faszinierend fand, ging er mit zu den Konzerten, hörte sich die CDs im Wagen an und die Playlisten ihres iPods, die sie über die Bluetooth-Lautsprecher abspielte. Nach etwa zehn Minuten war er überzeugt, Bachs 5. Brandenburgischem Konzert zu lauschen. Er hatte es seit über einem Jahr nicht mehr gehört, seitdem ihn seine Freundin verlassen hatte, weil sie keine Fernbeziehung führen wollte, solange sie aufs College ging.
Nun schoss ihm der verrückte Gedanke durch den Kopf, dass sie dem realistischen Albtraum entronnen war, in dem er festsaß, dass sie auf den Noten der Musik aus der Gefahr weggetragen worden war, als hätte sie diese Entwicklung vorhergesehen. Obwohl es mehr als irrational war, wurde er wütend auf sie, weil sie ihn seinem Schicksal überließ, was wiederum zu diesem Albtraum passte.
Dann kam ihm die ähnlich irrsinnige Idee, dass er diese Hölle hinter sich lassen und unbeschadet in die wirkliche Welt zurückkehren könnte, wenn er nur zum Ursprung dieser wunderbaren Musik gelangte. Vielleicht würde er dann sogar Gillian wiedersehen. Er konnte ja an die Ostküste ziehen. Ithaca, New York, war doch eigentlich gar nicht so weit weg. Die Musik transportierte ihn in einen Dämmerzustand, in dem er weiterträumte. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich vorstellte, wie er sein Leben ändern und alles wieder unter Kontrolle bekommen wollte …
Minuten, vielleicht auch Stunden vergingen, bevor die Kellertür geöffnet wurde und die Treppenstufen knarrten. Nishimura wurde aus seiner Träumerei gerissen, als der Mann mit der Hörnermaske wiederkam, um ein weiteres Opfer zu holen.
Dieses Mal nahm er Nishimura mit.
Oben hatte man das elegant möblierte Erdgeschoss, in dem es Räume mit getäfelten Decken und glitzernden Kerzenleuchtern gab, in mehrere Speisezimmer umgewandelt. Die meisten Gäste schlenderten herum und plauderten, in ihren Champagnertulpen und Weingläsern spiegelte sich das Kerzenlicht. Im Hintergrund lief klassische Musik, die aus im ganzen Haus verborgen angebrachten Lautsprechern drang, während die Gäste darauf warteten, dass das Abendessen serviert wurde.
Die Männer trugen maßgefertigte Anzüge oder Smokings, die Frauen führten ihren besten Schmuck und ihre schönsten Abendkleider aus, die sich auch für einen roten Teppich mit Paparazzi und Klatschreportern geeignet hätten. Aber niemand hätte die hier versammelten Personen für Prominente gehalten, auch wenn einige im Vorstand der größten Unternehmen des Landes saßen. Doch die Anwesenden hatten nicht nur ein Faible für die schönen Dinge des Lebens, sondern auch für
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