Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
Bewahrung ihrer Privatsphäre.
Für einige Mitglieder der Tafelsilbergesellschaft stellte dies das zweite Festritual dar. Nur wenige der Anwesenden hatten bereits zwei frühere Feste miterlebt. Zwei von ihnen saßen im Rollstuhl und konnten sich nicht mehr alleine durch das weitläufige Haus ihres Gastgebers bewegen.
Auch wenn die Mitglieder diese exquisite Feier zu genießen schienen, warfen sie sich bittersüße, vielsagende Blicke zu, sobald der Gastgeber eines der Nichtmitglieder, die auf die offene Einladung gefolgt waren, ins Hinterzimmer begleitete. Tage, an denen es leere Stühle gab, bedeuteten immer, dass die Feierlichkeiten langsam dem Ende zugingen. Viele Personen, die dieses Mal daran teilnahmen, würden nicht lange genug leben, um der nächsten offiziellen Versammlung erneut beiwohnen zu können.
Nachdem die klassische Musik ausgeblendet worden war, wurde dreimal eine Glocke geläutet. Die Unterhaltungen machten einer erwartungsvollen Stille Platz.
Ein stämmiger älterer Herr mit Kochmütze und -jacke rollte einen großen Servierwagen voller abgedeckter Silberteller und silberner Servierteller herein. Zwar sprach ihn jeder nur als Maître de Cuisine an, da dies seiner aktuellen Rolle als Koch innerhalb der Gesellschaft entsprach, doch die meisten Mitglieder kannten seinen richtigen Namen, der nie genannt wurde: Oscar Cavendish.
Mit einigen dramatischen Gesten nahm er nacheinander die Hauben von den Tellern und verkündete dabei die Speisefolge, damit sich die Anwesenden die Gänge für den heutigen Abend auswählen konnten.
„Für Ihren heutigen Gaumenschmaus präsentiere ich griechisches Herz, gekrönt mit Kapern, grünem Blattgemüse, einem Spiegelei und Sauce à la Bordelaise. Als Beilage gibt es Bries in einer Innereienkrokette.“
Er enthüllte das nächste Gericht.
„Oder Sie nehmen koreanische Zunge, in Sojasauce und Zucker mariniert und mit Knoblauch und Pfeffer frittiert.“
„Von einem Erwachsenen oder einem Kind?“, wollte jemand wissen.
„Beides stammt von gesunden Erwachsenen“, versicherte Cavendish ihnen. „Für diejenigen unter Ihnen, die die jüngere Küche bevorzugen, ist das nächste Gericht zu empfehlen: russische Niere in Arracherasauce. Dann hätten wir noch …“
Als alle Spezialitäten vorgestellt worden waren, stellte Cavendish sie auf einem langen Buffettisch aus, damit die Gäste sich selbst bedienen konnten. In der Mitte des Tisches waren zwei abgetrennte Menschenhände mit lackierten Fingernägeln so arrangiert worden, dass die Handflächen nach oben zeigten und den abgetrennten Kopf der Frau festhielten. Der Kopf und die Hände bildeten das dekorative Herzstück des Tisches. Allerdings standen das Fleisch und die Organe der Frau nicht auf der Speisekarte.
Die Überreste von Sheila Jenkins’ zerstückeltem Körper waren am Flussufer angespült worden.
„Fleisch?“, rief jemand aus Richtung des Raums, in den die Nichtmitglieder geführt worden waren.
„Ah, für diejenigen, die unsere Organspezialitäten des heutigen Abends lieber auslassen möchten, stehen diverse Steak- und Bratenvariationen von einer Vielzahl erwachsener und jugendlicher Ethnien zur Verfügung, beispielsweise griechisch, koreanisch und russisch, sowie weitere köstliche Speisen, die später am Abend serviert werden. Bitte genießen Sie Ihr Mahl, während wir diese letzten Tage dieses Festes erleben.“
Nach seiner Ansprache applaudierten die Mitglieder dem Koch, während ein ungehobeltes Pfeifen aus den Reihen der Nichtmitglieder zu hören war. Der Koch lächelte, verbeugte sich leicht und kehrte in seine Küche zurück.
Während die formell gekleideten Gäste ihre Speisenauswahl trafen, verwandelten sie sich vor lauter Vorfreude einer nach dem anderen, sodass es fast wie eine Aufwallungswoge aussah. Der Großteil entpuppte sich als
Geier
, obwohl auch einige
Kojoten
und
Schakale
anwesend waren, wobei die größte Artenvielfalt bei den Nichtmitgliedern vorherrschte.
Einige Zeit später meinte eine Frau zu einer anderen: „Hast du das griechische Herz gekostet? Dafür könnte man glatt sterben.“
„Irgendjemand musste das auf jeden Fall.“
Die erste Frau kicherte amüsiert. „Ich habe gehört, sie hätten eine ganze Familie gefunden.“
„Vielleicht taucht der Rest bei den anderen Gerichten auf“, hoffte die zweite Frau optimistisch. „Vermutlich auf den Fleischplatten.“
„Die Jungen sind so süß und zart“, stellte die Erste fest. „Es wäre ein Verbrechen,
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