Grimm 2: Die Schlachtbank (German Edition)
blickte von Hank zu Nick und dann zu dem Foto. „Ist das so eine Art Bullenspiel?“
„Das ist kein Spiel“, entgegnete Nick und legte das Foto zwischen ihnen auf den Tisch.
Einen Moment lang war Ron viel zu betäubt, um überhaupt zu registrieren, was er da anstarrte, und die leblosen Augen, das blutleere Gesicht und die zerstörte, aufgerissene Kehle seinem Bruder gehörten.
Dann verwandelte sich Ron und zuckte nach hinten, so weit es seine Fesseln zuließen, während er reflexartig versuchte, sich zu befreien. Die Kette an seinen Handschellen straffte sich und verhinderte, dass er sich weit von dem Foto entfernen konnte. Er sackte auf seinem Stuhl zusammen und starrte zur Seite, als wolle er den Beweis für den schrecklichen Tod seines Bruders nicht zur Kenntnis nehmen.
„Anscheinend haben Sie mehr Glück gehabt als er“, meinte Nick, „weil wir Sie erwischt haben.“
„Aber das Blatt könnte sich bald wenden“, fügte Hank hinzu.
„Sagen Sie uns, wer das getan hat, Ray“, riet ihm Nick, „dann reden wir mit dem Staatsanwalt. Wir können Sie beschützen.“
Ron saß reglos da, bewegte sich nicht und sagte keinen Ton.
„Sie wollen doch nicht so wie Ray enden“, sagte Hank und deutete auf das Foto, das Ron weiterhin ignorierte. „In einer dunklen Gasse erschossen werden, damit die Ratten an ihrem Gesicht herumnagen können.“
„Das ist kein schöner Tod“, meinte Nick.
„Ich weiß nicht, wer die sind“, murmelte Ron so leise, dass sie es kaum hören konnten, „oder wo sie sich aufhalten.“
„Erzählen Sie uns einfach, was Sie wissen“, forderte ihn Nick auf.
„Sie wissen so viel wie ich“, sagte Ron. „Es sind Menschen gestorben. Ihre Leichen wurden auf dem Grundstück vergraben.“
„Knochen“, korrigierte ihn Hank. „Keine Leichen.“
„Das macht doch keinen Unterschied“, erklärte Ron. „Tot ist tot.“
„Wer hat Ihren Bruder erschossen?“
„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Ron aufgebracht und rasselte mit der Kette. „Ich war die ganze Zeit hier eingesperrt. Aber wenn ich rauskomme, werde ich das Schwein finden und mit eigenen Händen umbringen.“
Die letzten Worte klangen nicht gerade überzeugend. Ron war blass und zitterte. Er wirkte, als habe er Angst, große Angst vor dem, in was er hineingezogen worden war, und vor dem Vollstrecker, der das Leben seines Bruders ausgelöscht hatte. Der Schock war nackter Angst gewichen. Jetzt war Ron klar geworden, dass er bis über beide Ohren in der Sache drin steckte, und er machte einen Rückzieher.
„Das ist Ihre letzte Chance, Ron“, sagte Nick. „Sie wandern wegen Besitzes illegaler Betäubungsmittel, Angriff auf einen Polizisten und Widerstand gegen die Verhaftung ins Gefängnis. Wenn Sie nicht reden, können wir Ihnen nicht helfen.“
„Mir kann niemand mehr helfen“, meinte Ron leise, und es klang wie ein Mantra. „Mehr habe ich nicht zu sagen.“
Daran hielt er sich auch und sagte keinen Ton mehr, während sie bei ihm waren.
Die Detectives kehrten an ihre Schreibtische zurück und hofften auf Neuigkeiten oder irgendwelche Nachrichten. Juliette hatte angerufen und sich erkundigt, wie lange Nick noch auf dem Revier bleiben würde. Sie informierten Captain Renard über Rays Tod und Rons Schweigen. Da sie keine weiteren Hinweise hatten und es nichts Dringendes mehr gab, beschlossen sie dann, Feierabend zu machen.
Ellen Crawford saß im Dunkeln in dem Armsessel, von dem aus man die Haustür im Blick hatte. Sie wartete. Erst nachdem sie mit dem afroamerikanischen Detective telefoniert hatte, war ihr Kurts Abwesenheit aufgefallen. Sie hatte erst geglaubt, er sei in seinem Zimmer und würde trauern. Aber sie hätte es besser wissen müssen. Sie hätte an die stählerne Entschlossenheit in seinen Augen und den
Leerer-Stuhl
-Flyer in seiner Hand denken müssen.
Nachdem sie das Gespräch beendet hatte, rief sie nach oben, Kurt möge auf den Dachboden gehen und die Fotos von Rio zusammen mit Lamars Tagebuch über seine Schlemmerreise herunterholen und verbrennen, bevor die Polizei mit einem Durchsuchungsbefehl wiederkam. Erst da hatte sie festgestellt, dass Kurt das Haus verlassen hatte, ohne ihr Bescheid zu sagen. Daher musste sie die Rio-Beweise selbst im Kamin verbrennen – und sich danach um ihren Sohn sorgen. Ihr war natürlich sofort klar gewesen, wohin er gegangen war … und dass er es planlos und ohne Vorbereitung getan hatte.
Sie hatte einige Räder in Bewegung gesetzt, doch ihr Plan
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