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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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könnte das Gleiche getan haben. Hast du in den letzten Tagen dein Konto überprüft?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.« Weshalb hätte sie das denn auch tun sollen? Meine Güte, daran hatte sie im Traum nicht gedacht. Sie quälte sich finanziell so durchs
Leben, mit der Schneiderei im Theater und manchmal auch noch einigen Gelegenheitsarbeiten in den Kneipen. Der Preis der Unabhängigkeit.
    »Aber wenn das so wäre, dann …«
    »Dann würde das bedeuten, dass unsere Väter von ihrem nahen Tod wussten.« Dann wäre es mehr als eine bloße Sicherheitsvorkehrung gewesen. Dann hätten sie gewusst, dass ihr Tod unausweichlich sein würde. Dann ergäbe alles einen neuen Sinn.
    Beide schwiegen sie.
    In was, um alles in der Welt, waren sie da nur hineingeraten?
    Leander parkte den Wagen am Straßenrand unterhalb der Landungsbrücken.
    »Den Rest des Weges müssen wir zu Fuß gehen.«
    »Ich habe nur wenig Gepäck.« Sie nahm ihren Rucksack, das war alles.
    Leander schaltete den Motor aus, zog den Schlüssel, betrachtete ihn lange und dachte nach. »Vielleicht finden wir im Kofferraum einen Hinweis auf unseren Retter.«
    In eben diesem Moment, als sei es eine Reaktion darauf, erklang ein fiependes Geräusch aus dem hinteren Teil des Wagens.
    Leander und Vesper erschraken gleichermaßen.
    »Was war das?«
    »Hörte sich an wie ein Tier.«
    Unruhig rutschte Vesper auf ihrem Sitz herum. Der Gedanke, dass sich hier im Auto ein Tier aufhalten könnte, behagte ihr gar nicht. Vesper mochte Tiere in der Regel
nicht. Die Aussicht, dass sich das Tier schon während der ganzen Fahrt dort hinten versteckt hatte, behagte ihr auch nicht.
    »Ein kleines Tier«, fügte Leander beruhigend hinzu.
    »Auch das noch«, seufzte sie, »schau du bitte nach.«
    Leander schnallte sich los und beugte sich nach hinten, um besser sehen zu können.
    »Komm raus, komm raus, wo immer du bist«, sagte er und lugte über die Rückbank nach hinten. Offenbar hatte er keine Bedenken, es könne sich bei dem Tier um ein gefährliches Tier handeln.
    »Bist du sicher, dass …«
    Das Tier erschien.
    Es kroch aus einem Hohlraum zwischen den Sitzen hervor, hüpfte auf den Rücksitz und sah die beiden aus großen runden Augen an.
    »Das ist ein Äffchen«, stellte Vesper überrascht fest.
    »Ja, ein Äffchen in Schwarz-Weiß«, sagte Leander. Und brachte damit auf den Punkt, was an dem Tier so besonderes war. »Ein kleines Totenkopfäffchen. Nicht in Farbe, dafür aber mit Ton.« Er lächelte es an und sagte: »Hallo, du!«
    Das Tierchen war knapp dreißig Zentimeter groß, maß man den Schwanz, der noch einmal so lang sein mochte, nicht mit. Das maskenartige Gesicht blickte die beiden freundlich an. Die unbehaarte kleine Schnauze verzog sich vorsichtig, und die kleine Nase nahm Witterung auf.
    »Ieck«, krächzte das Äffchen.
    »Hallo«, sagte Leander, »wir tun dir nichts.«

    Das Äffchen legte den Kopf schief und sagte nichts.
    »Du vermisst deinen Herren?«
    Das Äffchen sagte nichts.
    »Er hat uns geholfen und wird bestimmt bald wieder hier sein. Ich glaube nicht, dass er dich lange allein lässt.«
    Das kleine Äffchen legte den Kopf schief und musterte sie eindringlich und wachsam.
    »Warum ist es nur schwarz-weiß?« Vesper erinnerte sich an den Moment, als sie das Äffchen zum ersten Mal erblickt hatte. »Es sieht noch immer wie gezeichnet aus.« Als sie den Fremden in der Straße und am Hafen gesehen hatte, da war es ihr nicht möglich gewesen, das unscharfe Wesen zu erkennen, das da auf seiner Schulter gehockt hatte. Aber so, wie es aussah, war es wohl genau dieses kleine Äffchen gewesen. Und es sah wirklicher aus als vor zwei Tagen noch.
    »Ieck«, sagte das Äffchen erneut. Dann setzte es sich ruhig auf den Rücksitz.
    »Kennst du den Film Das Grauen im Amazonas ?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Ist ein Horrorfilm aus den Vierzigerjahren. Eine deutsche Produktion. Es geht um eine Amazonasexpedition, die nach einem legendären Goldschatz sucht und dabei auf ein uraltes Wesen aus der Mythologie der Indianer trifft.«
    »Was hat das mit uns zu tun?«
    »Na, schau doch, das Äffchen. Es sieht genauso aus wie das Äffchen in dem Film.«

    Sie starrte Leander verdutzt an. Okay, sie hatte keine Ahnung, welchen Film er meinte, aber …
    »Du meinst, dass dies hier das Äffchen aus dem alten Film ist?« Sie streckte langsam und vorsichtig die Hand nach ihm aus. Die Kulleraugen des Äffchens blickten neugierig und wachsam zugleich auf die Finger, die sich

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