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Grimm - Roman

Titel: Grimm - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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ihm näherten.
    »Es ist schwarz-weiß«, gab er zu bedenken.
    Vesper starrte ihn an, dann wieder das Äffchen. Es neigte den Kopf und ließ sich an der Stirn streicheln.
    »Und es ist noch immer ein wenig unscharf.«
    Ja, Vesper sah es ganz deutlich. Die dünnen Streifen, die sich manchmal auf altem Filmmaterial befanden und das Bild flackern und die Personen unscharf erscheinen ließen, liefen wie ein unruhiges Muster durch das hell-dunkle Fell des kleinen Tieres. Trotzdem fühlte es sich fest und warm an. Es lebte, es atmete und es war wirklich . »Du fühlst dich an wie ein richtiges Äffchen«, sagte sie zu ihm.
    »Ieck«, quietschte es erneut. Offenbar hatte es keine Angst vor ihnen.
    »Ja«, Vesper lächelte, »du bist ein richtiges Äffchen.«
    »Wie viele Äffchen hast du in deinem Leben schon gestreichelt?«
    Sie warf Leander einen bösen Blick zu.
    »Ieck«, sagte das Äffchen erneut.
    »Ich habe keine Ahnung, was du mir sagen möchtest«, sagte Leander zu dem kleinen Tier. »Aber du brauchst keine Angst zu haben. Nicht vor uns, jedenfalls. Wir tun dir nichts.«

    Das Äffchen starrte ihn nur an, schien aber beruhigt zu sein.
    »Und du«, fuhr Leander fort, »tust uns hoffentlich auch nichts.«
    Vesper genoss es, die Finger durch das weiche Fell streichen zu lassen. Sie war einem Wesen wie diesem zum ersten Mal richtig nah. Sie wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, aber sie mochte es und wollte am liebsten, dass es nicht wieder aufhörte, weil es einfach ein gutes Gefühl war. Es schien richtig zu sein. Es war, als könne sie ein Märchen berühren.
    Ja, das war der Gedanke, der ihr kam. Es ist, als würde man ein Märchen anfassen.
    Was das zu bedeuten hatte? Sie hatte nicht die geringste Ahnung.
    Leander beugte sich nach hinten und flüsterte dem Äffchen zu: »Du kannst gern mit uns kommen.«
    Vesper seufzte.
    Ein Äffchen aus einem Afrikafilm, auch das noch …
    Was für ein Tag!
    Leander öffnete langsam die Tür. »Ich kenne mich nicht sehr gut mit Äffchen aus«, gestand er mit ruhiger Stimme und verbesserte sich sogleich: »Na ja, ganz ehrlich, eigentlich kenne ich mich mit Äffchen überhaupt nicht aus. In Filmen und Geschichten sitzen die Äffchen den Leuten immer gern auf der Schulter.« Er machte eine einladende Geste, klopfte sich auf die Schulter und schaute dem Äffchen in die Kulleraugen. »Wenn du das also tun möchtest, bitte sehr.«

    Das Äffchen sagte nichts. Es berührte Vespers Hand mit seiner Pfote, und die kleinen Äffchenfinger waren sanft und vorsichtig.
    Vesper konnte sich ein leises Schmunzeln nicht verkneifen. Die Situation war einfach zu absurd.
    »Na, was meinst du?« Leander hielt dem Tier seine Schulter hin.
    Das kleine Äffchen kam ein Stück auf ihn zu, schnupperte, zwinkerte mit den Kulleraugen.
    Dann, mit einem wieselflinken Satz, sprang es nach vorn, wuselte Leander, der überrascht und erschrocken aufschrie, über den Schoß und entschlüpfte sogleich und flink wie ein Wiesel nach draußen. Schneller, als man Äffchen sagen konnte, kletterte es auf einen der nahe gelegenen Bäume, kreischte in die Nacht, schaute auf die beiden herab, sprang von Ast zu Ast, von Baum zu Baum, schaute neugierig zurück und hielt nicht an, bis es fort war.
    »So viel zu dem Äffchen«, stellte Vesper fest.
    »Du sagst es.« Leander starrte dem Äffchen hinterher und konnte offenbar nicht fassen, was gerade geschehen war.
    »Bin gespannt, was sonst noch so passiert.« Vesper stieg aus und atmete die kalte Luft ein. Sie roch die nahe Elbe und war froh, wieder in der Stadt zu sein; in dieser Stadt, in die sie vor wenigen Monaten noch nie hatte ziehen wollen.
    »Glaubst du, das Äffchen war eins von ihnen?«
    »Wen meinst du?«
    »Eins von diesen Wesen.«

    Er zuckte die Achseln. »Es schien nett zu sein.«
    »Es hat sich angefühlt, als würde man ein Märchen berühren«, sagte sie versonnen. »Es war schön, es anzufassen.«
    Beide schauten in die Richtung, in der das Äffchen verschwunden war. Um sie herum war die Großstadtnacht, dunkel und lichterglanzhell zugleich, leise und laut, mit einem Märchen, das jetzt irgendwo in den Bäumen saß.
    »Komm«, schlug Leander schließlich vor, »lass uns gehen.«
    »Mach’s gut, kleines Äffchen«, sagte Vesper in die Nacht hinein.
    Dann gingen sie los, Leander voran.
    Eine Treppe hinauf, bis sie auf der Promenade angekommen waren.
    Vor ihnen breitete sich der Hafen aus.
    Dicke Schleppschiffe kämpften sich durch die von Eis bedeckte Elbe.

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