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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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aber dafür nicht gegeben werden konnte, explodierte der Krieg.
    So war es eine schlimme Zeit, in der Hektik und Rennerei, Hast und Kampf an der Tagesordnung standen. Alles hetzte und prallte gegeneinander.
    Die Anzahl der Toten stieg, die Humanität nahm Reißaus. Aus den Schloten der Fabriken quollen Rauchzeichen, welche die Produktion von unvorstellbarem Kriegsgerät ankündigten. Sie tauchten das Licht des Himmels in graues Rot.
    Wilde, dampfende und schnelle Maschinen bestimmten das Bild der Schlachtfelder. Sich bewegende Bäume aus Stahl stampften gegen springende Eisenkuppeln. Ganze Häuser, welche sich durch Fallen und Aufrichten fortbewegten, zermalmten Gefährte, bestehend aus 28 Rädern und Eisenhäuten, die wiederum des Gegners Geheimwaffe, riesige Metallhände, die auf Zeige- und Mittelfinger liefen, zur Weißglut brachten. Dampf und Düsternis stiegen an allen Ecken und Enden auf, Schreie und schrilles Schaben preschten ohrenbetäubend durch die Luft. Feuer speiende Rösser aus Beton und Stein rammten gegen in Aggression getauchte, sich zyklisch auf und ab bewegende Kruppstahlzähne. Morsepatronen pfiffen und stoben durch die blutende Luft und krachten explodierend in Stacheldrahtwölfe, die durch des Gegners Reihen Furchen rissen.
    Ein Krieg ohne Taktik und Hintergrund. Im Wahn vergaß man, wer gegen wen kämpfte, und so war es folglich jedes Land gegen das andere.
    Es war ein einziges Verfolgen und Fliehen. Der allgemeine Niedergang von Mensch, Tier und Natur durch Maschinen stand unaufhaltsam bevor.
    Da trat der Bote, der nicht mehr laufen wollte, auf das Kriegsfeld und bewegte sich mit der Anmut der Langsamkeit über das blutende Schlachtfeld. Trotz seiner gemächlichen Geschwindigkeit schlugen Arme aus Stahl und scharfe Zahnräder im Boden neben ihm ein. Getroffen wurde er nicht. Blitzende Kanonenkugeln und riesige Wurfscheiben, Raketenklingen und baumlange Eisenpfeile, die Menschen auseinanderrissen, verfehlten ihn. Er schritt langsam und bedächtig durch das Getöse — ohne Hast und Hektik.
    »In der Ruhe liegt die Kraft.«
    Verzweifiung und Grausamkeit rasten an ihm in unvorstellbarem Tempo vorüber. Er blieb ruhig und schritt einfach weiter. Während über seinem Kopf siebeneckige Flugobjekte und Schnatterbomben explodierten, Torpedoluftkreuzer und Schwirrböcke in die Luft flogen, entstand in seinem Kopf die Lösung zur Beendigung des Desasters.
    Er trottete in die Bibliothek der Menschheit, welche durch Hastbaggerattacken schwer lädiert war, und suchte das Dudenbuch der gültigen Wörter. Er fand es unter einem Haufen geborstenem Holz und Papierfetzen. Es hatte keinerlei Schaden davongetragen. Er setzte sich in eine Ecke porösen Mauerwerks und lauschte noch einmal dem Kriegslärm, der sich durch schwarze Quellwolken und Rußschwaden schälte. Mit einem Lineal und einem Fettstift begann er umsichtig und präzise die rettende Arbeit.
    Er strich alle Wörter, Synonyme und Ausdrücke, die mit Geschwindigkeit, Hektik, Hast und Eile zu tun hatten, aus den Seiten. So verringerte sich pro gestrichenem Wort das Getöse. Synonyme wurden zerstört, so auch die kriegerischen Handlungen. Je mehr Vokabeln der Eile ausradiert wurden, desto mehr versiegte das Sterben und Töten auf den Schlachtfeldern. Als der Bote den letzten zu streichenden Begriff auslöschte, kam der Krieg zum Erliegen. Nun waren alle Wörter, welche nur annähernd mit Hektik, Hast, Hetze und so fort zu tun hatten, aus dem Dudenbuch der gültigen Wörter verschwunden. Es legte sich Ruhe und Frieden über die Erde.
    Der Bote ging in langsamen Schritten zu den Herrschern der Länder und legte den Duden vor sich ab.
    Er murmelte: »In der Ruhe liegt die Kraft. «
    Dann hob er das Haupt und rief laut: »In der Ruhe liegt die Macht. «
    Die Herrscher der Länder jubelten ihm zu und bestimmten ihn zum Wächter des Dudens der gültigen Wörter, den er ab diesem Zeitpunkt immer unterm Arm tragend auf seinen gemächlichen Wegen durch die Länder mit sich führte.
    So trat der »Lange ruhige Friede« ein, gewonnen durch einen, der nicht mehr laufen wollte.
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    Ein Streifen Helligkeit klopfte gegen die Augen, zog Ignaz’ Lider langsam nach oben, um noch mehr Licht durch die Sehschlitze Richtung Pupillen zu befördern. Im ersten Moment dachte Ignaz, das Licht gehöre zu seinem Flammentraum, dann registrierte er, dass es echtes Sonnenlicht war, das, in Streifen geschnitten, einen klammen, dunklen Kellerraum durch

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