Grimms Erben
Seine lange Reise durch die verschiedensten Länder hatte ihn gelehrt, achtsam zu sein. Er wollte doch nicht von Bewohnern dieses seltsamen Volkes um seinen wichtigen Botengang gebracht werden. Die Bantumis bemerkten sein Misstrauen. Der kleine Gooth war es, der belustigt ausrief:»Das ist Wein, du Rückwärtsmenschtrottel.«
»… oder glaubst du, wir wollten dich mit Hilfe eines Zaubertranks zu einem von uns machen«, sagte Henriette und zwinkerte ihm schelmisch zu. Henry trank und bemerkte ein süßliches Aroma auf der Zunge. Beim Schlucken umspielte eine wohlige Wärme seinen Gaumen, und er trank zufrieden den ganzen Becher leer.
»Nun, mein Herr, was führt Sie hierher?«, wollte Walter wissen.
»Ich will nach Großwalterhain. Offenbar bin ich vom Weg abgekommen.«
»Nach Großwalterhain? In der Tat, da liegt Dreddingens nicht auf dem Weg. Sie dürften überhaupt nicht an Pantam vorbeikommen.« Walter fixierte Henry eindringlich. »Aber bitte, setzen Sie sich doch. «
Nun saßen alle um den großen Holztisch. Das Zischen und Brodeln der Töpfe klang wie eine leise Musik. Walter fuhr fort: » Was sollen Sie denn in Großwalterhain?«
»Was ich dort will?«, fragte Henry. »Verzeihung, aber das geht nur mich etwas an.«
» Was Sie dort sollen, fragte ich. «
» Woher wollen Sie wissen, dass ich dort etwas soll und nicht will. «
» Verzeihung, mein Herr, Pantam mag in ihren Augen einer Legende entsprungen sein, aber wie Sie sehen, gibt es uns Pantamer wirklich, und ganz im Gegensatz zu Ihnen sind wir von Ihrer Existenz nicht überrascht oder gar überrumpelt. Die Welt ist größer, als Sie annehmen, mein Herr, sehr viel größer. Und ihr Rückwärtsmenschen seid die Spezies, die denkt, sie wäre nur für euch gebaut. Ihr habt Probleme mit der Tatsache, dass sie es nicht ist. «
Henrys Augen wurden kleiner, sein Ausdruck düster. Die gesamte Situation war surreal, und nun sorgten die Worte dieses lockenköpfigen Surrealisten für noch mehr Verwirrung. Von wegen die Welt ist viel größer als angenommen.
»Herr…äh…«
»Walter. Nennen Sie mich Walter, bitte.«
»Nun gut, Walter, Ihnen zu folgen fällt mir in der Tat gerade schwer. Ich habe an einem mir nicht bekannten Ort unbewusst meine Reiseroute verloren. Dass ich Ihnen nun Umstände mache, tut mir leid.«
Ehe Henry weitersprechen konnte, fiel ihm Walter ins Wort. »Sie machen uns keine Umstände. Noch nicht.«
Henry stammelte Uhs und Ähs, blickte den einzelnen Dreddingers oder Pantamer oder Bantumis oder was auch immer in die Augen und klammerte sich an seine Umhängetasche, auf die nun Walter mit dem Finger deutete.
»Mein Herr, ich befürchte, hier drin befindet sich etwas, das uns Umstände bereiten könnte, sofern Sie den Inhalt zu Ihrem Ziel bringen. Lassen Sie es mich erklären.« Walter bedeutete Henriette, ihrem Gast nachzuschenken. »Es kommt nicht häufig vor, dass uns Rückwärtsmenschen besuchen. Im Grunde nie. Sie sind seit genau genommen hundertzwölf Jahren wieder mal einer. Und das verheißt für uns Pantamer nichts Gutes. Wir lernen aus der Vergangenheit, aus der Geschichte, die wir von Generation zu Generation weitergeben. Wir haben Spione, also Überprüfer, wie wir sie nennen, welche in eurer Welt die Fühler ausstrecken und uns berichten, sofern es unserem Land an den Kragen gehen könnte. Unser Land ist für euch nicht existent, zumindest nur eine Legende, aber in jeder Legende liegt doch ein Funke Realität. Wie Sie sehen, manchmal wird aus einem Funken ein wahres Feuer.« Walter lächelte in seinen Becher Wein hinein. Henry glotzte stumpf auf Walters Mund und versuchte das Funktionieren seines Verstandes den treibenden Worten Walters anzupassen. »Pamtam ist vor über hundert Jahren dem Untergang nahe gewesen, doch wir konnten uns retten. Gerade so. Doch dieses Missgeschick, in das wir nicht einmal direkt involviert waren, soll uns nicht noch einmal widerfahren. Unser Land wurde durch das Nomadenkönigreich »Heerschar der Fahnenkämpfer« entdeckt. Man wollte uns versklaven oder vertreiben. Wir setzten uns zur Wehr — weil wir mussten. Eure Völker waren schon immer getrieben von Gier nach Macht und geizten mit Respekt und Akzeptanz gegenüber allem Fremden. Anders zu sein heißt für euch, falsch zu sein. Manche leben vorwärts, manche rückwärts, manche beten zu Göttern, andere haben Tiere als Heiligkeiten. Die einen sind blau, die anderen haben schwarze Haut und singen Lieder, die fremd klingen, aber schön.
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