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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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gestand Henry.
    »In welchem Land? Sind wir denn noch in Belten?«
    Die beiden alten Jungen kicherten.
    »Hey, was lacht ihr so unverschämt.« Henry wurde ungehalten. Er trat einen Schritt auf das Bruderpärchen zu.
    William kicherte immer noch, sagte aber artig: »Belten ist Rückwärtsland. So sagen zumindest alle in unserem Land zu dem euren.«
    »Und in welchem Land sagt man zu Belten Rückwärtsland?«, wollte Henry nun genau wissen.
    » Wir sind hier in Pantam. «
    »Pantam ist eine Legende«, blaffte Henry.
    »Das wissen wir. Zumindest wissen wir, dass ihr nicht an die Existenz unseres Landes glaubt, dass man aber Gerüchte verbreitet, Pantam wäre von seltsamen Individuen bewohnt, welche irgendwelche Erbkrankheiten hätten — und wir würden alle rückwärts sprechen.« William zuckte nur den Schultern. »Na ja, aber Pantam gibt es nun mal. Und wir sprechen ganz normal. Nur werdet ihr anders älter als wir. Andersrum sozusagen. «
    »Ich glaub’s nicht.« Henry fuhr sich über seine schwitzende Stirn.
    »Komm mit, wir gehen nach Hause«, schlug William vor und zog seinen Bruder mit sich.
    »Und du auch, Rückwärtsmensch.«
    Sie betraten eine große Küche. Töpfe dampften und brodelten auf dem Herd.
    »Papa, das ist Henry, er ist aus Belten. Henry, das ist mein Papa. «
    Ein Mann, den Henry auf Mitte fünfzig schätzte, schüttelte ihm die Hand und sagte mit kräftiger Stimme. » Willkommen. Mein Name ist Walter. Walter Bantumi. Sie sehen hungrig aus, mein Herr. Einen Happen essen?« Dabei wackelte sein graumelierter Wuschelkopf, und ein Lächeln stand im sonnengegerbten Gesicht des Mannes. Er schien weder über Henrys Anwesenheit noch über seine Herkunft überrascht. Im Gegenteil.
    Henry verlor ein leises »Ja, gibt’s denn so was« und schüttelte dabei den Kopf. Walter Bantumi wertete das als Verneinung die Essensfrage betreffend. Er goss aus einem Tonkrug eine hellgelbe Flüssigkeit in einen Holzbecher.
    William fuhr fort. »Das ist meine Schwester Henriette. Sie ist dreizehn Jahre alt.« In Henrys Augen war Henriette eine Großmutter mit Katzenbuckel. Ein weißer Dutt krönte die strengen Frisur. Ihre Kleider aber waren bunt, und mit lustigen Motiven bestickt, so wie sie Kinder eben gerne tragen. Neben Henriette saß eine Frau, die unwesentlich größer als Henriette war. Das war Gila, die Hausherrin und Mutter der Kinder. Ihre Hände waren gefangen in einem Gestrüpp aus Wolle und Stricknadeln, aus dem sich ein wundervoll bunter Schal ergoss. An dessen Ende saß, die Beine angewinkelt zwischen Sitzbank und Tisch eingeklemmt eine wunderhübsche Frau. Die vollen, wallenden roten Haare fielen ihr über die Schultern und bedeckten wie lodernde Flammen den Brustkorb. Ihr rosiger Teint strahlte vor Lebenskraft und Schönheit. Ihre langen Beine waren nicht bedeckt, erst an den Hüften stoppte ein geraffter Leinenrock Henrys Blicke.
    »Na, na, Henry«, belustigte sich Walter Bantumi, der Hausherr. »Sie werden sich doch nicht in meine Schwiegermutter verkucken wollen. Franka ist zweiundsiebzig Jahre alt. Oder jung, je nach Betrachter.« Die Familie lachte, und Henry schämte sich seiner lüsternen Blicke. So bizarr die Situation auch war, er trat auf sie zu, ergriff ihre Hand und hauchte einen Kuss auf ihre Haut. Schließlich entdeckte Henry, noch immer Frankas Hand haltend, ein kleines Bündel auf der Ofenbank, das in wirrgemusterte, braune Decken gehüllt war und aussah wie eine dicke Zigarre. Eine kleine Öffnung in der kunstvollen Wickelung gab ein rosafarbenes Babygesicht preis, das friedlich zu schlafen schien. Walter Bantumi reichte Henry nun den Holzbecher, den er dankend annahm.
    »Wie Sie wohl richtig erahnen, liegt dort am Ofen unsere Uroma, Tilda. Sie ist vierundneunzig Jahre alt, man sieht es ihr an. Sie wird nicht mehr lange leben. Aber sie ist die gute Seele des Hauses und hat unser aller Leben um einiges erleichtert. Welch kräftige Frau sie doch früher gewesen war.«
    Diese Worte verdrehten Henry den Verstand. Wie war das möglich? Jetzt erst ließ er Frankas Hand frei. Sie bückte sich über einen Korb voll Wolle zu dem Baby herab und flüsterte ihm beruhigende Worte zu. Henry dachte bei sich, welch ein schöner Anblick von Mutter und Tochter, wenn nur alles nicht so falsch wäre.
    »Ich sehe, mein Herr, Sie kämpfen mit dem, was Ihnen hier widerfährt. Bitte, nehmen Sie einen Schluck, es wird Ihnen guttun.« Walter Bantumi prostete ihm freundlich zu.
    Henry roch vorsichtig am Getränk.

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