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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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beschwerlicher und wundersamer Reise einen von Eichenbäumen gesäumten Feldweg entlangging, traf ihn schmerzlich ein Stein am Kopf.
    »Autsch«, entfuhr es Henry. Sogleich traf ihn noch ein Stein an der Schulter. »He, was soll das?«
    Als Antwort bekam er ein seltsam heiseres Kichern, das aus den laubüberwucherten Ästen eines Baumes wie ein Blatt herabsegelte.
    »Na warte, du frecher Bengel. Dir helf ich !«
    Henry wollte gerade auf den Baum klettern, den er als Versteck für den Lausbub ausgemacht hatte, da sprang eine kleine Gestalt direkt vor seine Füße. Mit ängstlicher Miene und weinerlicher Stimme bat die Gestalt: »Tu mir nichts.«
    Henry traute seinen Augen nicht. Vor ihm stand wackelnd ein kleiner, uralter Mann in kindlichem Gewand. Die seltsame Erscheinung hatte eine Größe von drei Ellen, glich also einem etwa Sechsjährigen. Jedoch verbreitete das seltsame Männlein rein äußerlich den Anschein, als wäre es jenseits der achtzig. Falten zogen sich wie ein Spinnennetz über das fahle Gesicht. Einige farblose Haarsträhnen hingen von dem knochigen Kopf, und im Mund steckten einige gelbbräunliche Stumpen, die wohl als Zähne fungieren sollten. Aber vom Baum sprang der kleine Mensch wie ein Affe. Geschmeidig und beweglich. Henry fragte verwundert: »Wer oder was bist du?«
    »Mein Name ist William. William Bantumi. Ich wohne in dem Bauernhof dort drüben. «
    Eine mit unzähligen grauen Altersflecken überwucherte Hand deutete über Henrys Schulter. Die Stimme klang heiser und rau, verbraucht.
    Im nächsten Moment raschelte etwas im Haselnussstrauch. Henry vermutete zunächst ein Tier. Als aber nun auch ein leises Wimmern zu hören war, verwarf er diesen Gedanken.
    »Das ist Gooth. Mein kleiner Bruder. Tu ihm nichts.« Der kleine Alte wandte sich in Richtung des Haselnussgebüschs.
    »Komm raus, Gooth, der Mann tut uns nichts.« Und wieder an Henry gerichtet: »Du tust uns doch nichts, oder?«
    Henry schüttelte den Kopf. Dann sah er den kleinen Bruder, der sich langsam aus den Blättern schälte. Henry traute seinen Augen nicht. Dieser Kerl war noch kleiner, wirkte aber rein äußerlich noch älter als sein angeblicher Bruder. Gooth war komplett kahl und hatte eine gebückte Haltung. Flecken zierten seine braungebrannte und straff gespannte Kopfhaut. Er wirkte wie ein neunzigjähriger alter Mann, der leicht zitterte. William nahm Gooth bei der Hand. »Hab keine Angst, der Mann tut uns nichts.«
    »Guten Tag«, sagte Gooth flatternd.
    Henry fragte verdutzt. » Wieso seid ihr so… alt? Seid ihr krank?«
    William und Gooth schüttelten im Einklang die Köpfe.
    » Wie alt seid ihr beide denn?«
    William antwortete »Ich bin sechs, werde bald sieben.«
    » Und…«, Henry deutete mit dem Finger auf Gooth, der sich hinter William versteckte.
    » Vier«, sagte der ältere Bruder. » Gooth ist vier Jahre alt. «
    Henry schüttelte den Kopf. »Ihr habt keine Krankheit? Ihr seid Kinder in den Körpern alter Menschen.«
    Gooth schaute verschämt zu seinem Bruder hoch, der wiederum Henry eindringlich musterte. Dann war es William, der eine Frage stellte.
    »Seid ihr von Rückwärtsland?«
    »Was?« Henry verengte die Augen. »Ich bin aus… Was ist Rückwärtsland?«
    »Du bist bestimmt aus Rückwärtsland, da wo man eben jung geboren wird. Eure Haut ist bei der Geburt rosig und weich und glatt. Wenn ihr sterbt, habt ihr Rückwärtsmenschen Falten, so wie bei uns die Kinder. Alles ist umgekehrt bei euch.« Henry schüttelte den Kopf, nicht aber, um dem Gehörten seine Zustimmung zu verweigern, sondern, um aus dieser seltsamen Kuriosität aufzuwachen.
    »Hört mal, ihr seht aus wie achtzigjährige Großväter und nicht wie Buben eigentlich auszusehen haben…«
    »Er ist aus Rückwärtsland«, sagte Gooth zu seinem großen Bruder. »Ganz bestimmt.«
    Henry stand perplex auf dem Feldweg. Was sind das nur für zwei komische Buben? Was ist Rückwärtsland und, verdammt noch mal: »Wo bin ich hier eigentlich?«
    Henry war auf seiner Reise, die ihm von seinem Herrn auferlegt wurde, um eine Nachricht in das Königreich Großwalterhain zu überbringen, bestimmt nicht immer auf dem direkten Wege marschiert. Aber es wäre ihm bewusst gewesen, wenn er sich irgendwo verlaufen hätte. Dennoch fragte er lieber mal nach.
    Gooth war es nun, der ihm Antwort gab. Eine krächzende Stimme ertönte.
    »Dreddingens. «
    »So heißt die nächste Ortschaft«, übernahm William.
    »Eine halbe Meile von hier.«
    »Noch nie gehört«,

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