Grimms Erben
wieder blieb er stehen, um zu lauschen, ob die Verfolger doch noch um eine Ecke stoben. Er hörte nichts.Trotz seiner Segelohren.
Es war verwunderlich, dass hier in diesem Teil der Stadt kein einziges Licht brannte, kein einziger Laut zu vernehmen war, kein Leben sich regte. Hier war er noch nie gewesen.
Ignaz lachte kurz auf.
Das ist gut, dachte er, hier war ich noch nie.
Ignaz war nicht nur diese Gegend unbekannt, sondern die ganze Stadt war ihm fremd. Er war noch nie in der Hauptstadt des Terrors gewesen. In Warschau. Was nichts daran änderte, dass er diesen einen verfluchten Mann finden musste, koste es, was es wolle.
»Was ist denn das?«
Wieder stieß er gegen den offenbar gleichen Gegenstand wie eben. Er beugte sich nach unten. Seine Handflächen bewegten sich vier- bis fünfmal auf und ab, ehe er einen Lederbollen mit Schnüren daran ertastete. Ein Schuh. Während er sich grübelnd aufrichtete, stockte Ignaz. Seine Augen stocherten im Dunkeln. Erkannte er noch einen Schuh? Es wäre nichts Unlogisches, da Schuhe immer paarweise auftreten, außer man verliert einen, zum Beispiel auf einer Flucht.
Ein zweiter Schuh, ein schwarzer Koffer, dunkle Kleidung, die aussah, als lägen dort kleine, traurige Menschenbündel oder tatsächlich unter Mänteln, Jacken und weiteren Textilien versteckte Personen. Schwarze Gegenstände erhoben sich nun besser sichtbar vor ihm. Wie ein Friedhof toter Gegenstände. Unwillkürlich wich Ignaz zurück. Das Bild, bizarr und schwach, war Ignaz unerklärlich fremd. Es könnte aber auch eine Halluzination sein, die ihm die Dunkelheit, die Anstrengung und die Unsicherheit auf die Netzhaut drückte.
Sich an die Hausmauer pressend, tastete er sich weiter. Im nächsten Moment wurde Ignaz Buchmann verschluckt. Zack und weg.
Von dem Ort genommen, an dem er soeben noch verwundert das unstimmige Straßenbild hinterfragte.
Weggerissen. In die Mauer gesaugt. Das Gleichgewicht verlor er, nachdem die Hauswand seinem Körpergewicht nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Er stürzte seitlich zu Boden und schlitterte auf glattem Stein einige Zentimeter weit. Er begriff sehr schnell. Eine Hausöffnung. Eine Türe, die offen stand, zog ihn förmlich in den Eingangsbereich, und da ihm dieses Gefühl, ein Dach über dem Kopf zu spüren, eine Prise Selbstsicherheit verschaffte, robbte er bis zur nächstgelegenen Wand und ließ die Welt draußen eben für einen Moment die Welt draußen sein. Seine Atmung und sein Herzschlag nahmen nun einen gemächlicheren Rhythmus an sein gehetzter Körper kam zur Ruhe. Endlich. Endlich Rast. Stillstand. Mehr davon. Nur für kurze Zeit. Ein Versteck finden – nur für die Nacht. Nur bis der Tag seine Sonnenstrahlen aussendet und alles von neuem beginnt.
Die schwere Türe zum Kellerabstieg findet er tastend. Er öffnet sie mit Bedacht.Trotzdem hat er nicht das Gefühl, dass er hier in diesem Haus irgendwen wecken könnte. Wie ausgestorben. Alles.
Das Licht im Abgangsbereich versucht er erst gar nicht zu entfachen. Ignaz will Vorsicht und Aufmerksamkeit nicht empfindlich vernachlässigen. So stolpert er mehr, als er geht, die Kellertreppe hinab. Samt seinen unvollständigen Gedanken im Kopf.
Flüssiges Gold
Mein Name ist Ignaz Buchmann. Ich bin Schriftsteller. Ich verfolge eine Idee. Ich sitze in einem Kellerloch in einem mir fremden Haus. So soll es nicht sein.
Ignaz Buchmann – ein Gepard. Eine Schlange. Ein Rammbock. Ein Fuchs. Ein Wiesel. Ein Pferd. Eine Katze. Nun ein Maulwurf.
Ignaz Buchmann – schnell. Verschlagen. Klug. Ausdauernd. Leichtfüßig. Nun blind und forschend.
In den Dingen anderer Menschen grabend. Wörtlich zu verstehen.
Ah, nun.
Ignaz fand neben ein paar öligen Lumpen in einem Regal, vor dem ein Fahrrad stand, eine Streichholzschachtel und ein paar gebrauchte Kerzen. Eine wurde zur Fackel, die sein unmittelbares Umfeld leicht erhellte. Er stöberte sich durch leere Glasbehälter, Schnitzwerkzeuge, leere Büchsen mit Pinseln darin, Unterlagen und mehrere in Winkeln versteckte Einweckgläser, von denen doch zwei mit buntem Inhalt gefüllt waren. Das erkannte er in dem flackernden Kerzenlicht. Eingelegtes Gemüse und Obst. Das waren brauchbare Gegenstände, die einem im Keller Gestrandeten, aus welchem Grund auch immer, zur Hilfe eilten. Bis er merkte, dass sich unter dem farbigen Inhalt auch ein pelziges Grün befand. Schimmel. Ungenießbar. Ein Fluch stieß aus seinem Mund gegen den hinter dem Glas sitzenden Schimmelpilz.
Er kramte
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