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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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ist Locher Gillespie.
    Mit einer vorsichtigen Geste der Beschwichtigung und einem Gesichtsausdruck, der deutlich vorwegnehmen soll, auf wessen Seite der Fehler wohl liegt, nämlich auf Lochers, will er mit dem Barkeeper Kontakt aufnehmen, der sich gerade mit dem Kassenmann unterhält. Der Kassenmann hat ein grünes Gesicht und in seinem Glas schwimmt keine Schnecke mehr.
    Mahlzeit, durchschießt es Locher.
    »Entschuldigung, Herr Ober…« Locher schnippt mit den Fingern. »Äh… Ähhntschuldigung.«
    »Entschuldigung. Hier liegt ein Missverständnis vor. Ich… hähä… wollte… äh… ein Pils. Und das da«, Locher deutet auf sein Glas, »das ist doch kein… oder etwa doch?«
    Der Barmann schaut erst Locher an, dann blickt er zum Kassenmann, der verdreht die Augen, obwohl er von Lochers Anmerkung nichts verstanden hat. »Hör zu, Mann.« Der Barkeeper tritt auf Locher zu, lehnt sich über den Tresen. »Wir sind hier eine feine Jazzkneipe. Wir haben hier Anstand und Benimm. Zum Affen können Sie andere machen. Macht neun Euro sechzig.«
    Eine feine Jazzkneipe. Sicherlich richtig. Mit Musik, die Locher schon seit Jahrzehnten genießt. Und dann kommt so einer. Locher mustert den Mann innig, der passt rein äußerlich nicht hierher. Mit seinen tätowierten Unterarmen.
    Was stellt das eigentlich dar? Schlangenfrauen auf glühenden Kohlen?
    Seine enge, durchgetragene Bluejeans, sein ausgewaschenes rotschwarz kariertes Hemd, die Ärmel zurückgeschlagen. Eine zum Pferdeschwanz gebundene Langhaarfrisur, fettig und glänzend. Ein Schnurbart, hufeisengerecht zurechtgestutzt. Ein schwerer Totenkopfring am Mittelfinger rechts. Ein breites Lederarmband links. Diese latent aggressive Ausdrucksweise. Beim besten Willen, das ist Heavy Metal, aber nicht Jazz.
    »Verzeihen Sie, ich habe Bier bestellt. Ganz bestimmt. Ich sehe mich…«
    »Das da, haben Sie gesagt. Und dort hingedeutet.« Der Zeigefinger des Winnie-Ersatzes deutet auf den zitternden Herrentäschchenmann.
    Locher muss sich eingestehen, genau das hat er gemacht. Bevor er noch weiter Unruhe verbreitet, will er bezahlen.
    »Nun… wie viel macht das?«
    »Neun Euro sechzig.«
    »Was? Für dieses traurige Stück Hopfengetränk?« Locher wagt sich für seine Verhältnisse weit ins Metier Auflehnung, macht dann aber eine Rückzieher.
    Ich will keinen Ärger, ich will Jazz.
    Locher legt den aufgeweichten Fünfzig-Euro-Schein auf das verbrauchte Holz der Theke. Neben dem Fuffziger liest Locher ein eingeritztes Wort. Ming. Es könnte der böse Imperator aus der Fernsehserie »Flash Gordon« gemeint sein. Locher vermutet aber eher, dass er das selbst vor etwa neun Jahren eingeritzt hat, als die Bedienung in der Küche nach einem bestellten Gericht Ausschau hielt. Es müsste in Lochers Erinnerung »Strammer Max Greger« gewesen sein. Das abrupte Erscheinen der Bedienung aus dem Küchenraum ließ ihn den Namen Ming ...us mit Hilfe einer aufgebogenen Büroklammer nicht zu Ende schreiben. Charles Mingus, ein Künstler aus seinem eigenen und dem Repertoire dieser Kneipe. Hier verewigt. Plötzlich ist sich Locher ganz sicher.
    Ja, das war ich.
    Er schämt sich leicht für diese Art des Vandalismus. Somit scheinen die neun Euro sechzig im Nachhinein ein stummer und gerechter Ausgleich.
    Der Aushilfsbarmann hat Mühe, die klebrige Geldnote von der Oberfläche zu fitzeln. Er schüttelt erneut den Kopf.
    So, da sitzt er nun, die Kneipe füllt sich behäbig, und Locher wartet auf den Live-Act. Die wässrigen Augen seines Sitznachbarn spiegeln sich müde in der Flüssigkeit, die nun auch vor ihm in einem Schwenkglas schwimmt. Locher denkt, auch dieser Herr ist von Einsamkeit ummantelt und sucht sein Seelenheil in der Musik. Er wagt einen Verbrüderungsversuch: »Na, guter Mann, Herrentäschchen dabei?« Locher deutet auf das Mäppchen, das vor dem zitternden Mann ruht. Dieser, offensichtlich von Lochers Anwesenheit eingeschüchtert, starrt vor sich hin.
    »Entschuldigen Sie, lieben Sie das hier genauso wie ich?« Locher probiert eine allumfassende Bewegung mit den Armen.
    Der Mann schreckt auf, schaut in Lochers Glas und wispert fahrig: »Bitte lassen Sie mich zufrieden.«
    »Verzeihung«, setzt Locher nach, »aber Potter ist phänomenal. Uns erwartet ein zauberhaftes Spektakel.«
    Der Mann, der sich nun heftig an sein Täschchen klammert, wimmert: »Ich lese kein Harry Potter. Bitte lassen Sie mich zufrieden.«
    Locher dreht sich enttäuscht zur Seite. Er schnüffelt an seinem

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