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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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»Pils«, doch seine verschnupfte Nase gibt lediglich ein kurzes Grunzen preis. Aktuell 0,0 Prozent Geruchssinn. Ein Pils ist das nicht, vielleicht Apfelschorle.
    Was auch immer das ist, Locher nimmt endlich einen heftigen, tiefen Zug. Ihn dürstet gewaltig.
    …Feuer!!!
    Schon wieder. Er hat doch gestern erst eins gelöscht. Nun fällt es Locher wie Schuppen von den Augen – Tränen fallen hinterher. Ein Schnaps, genauer Weinbrand, Mariacron oder schlimmeres Weindestillat, hochprozentig, wild, tödlich. Eine Feuerwalze in flüssiger Form. Gebranntes aus Trauben mit Enterhaken versehen. Locher keucht. Und zwar Laut.
    Hilfe.
    Aus Lochers Hals strömen stumme Hilfeschreie. Höllenschmerzen steigen aus dem Schlund auf. Trinkt er Feuerquallenbowle? Eine flüssige Eisenfeile schabt sich die Speiseröhre entlang. Nach einiger Zeit kehrt seine Contenance zurück.
    »Guter Tropfen«, zischt er, den dreifachen Weinbrand – deswegen auch die Unsumme von neun Euro sechzig – auf Augenhöhe musternd. Die Nase befreit sich langsam. »Auch einen Schluck?« Locher bietet dem Herrentäschchenmann sein Glas an.
    »Bitte lassen Sie mich in Frieden, Sie Narr!«
    Locher wendet sich achselzuckend der Kneipe zu.
    Jazz ist was Feines.
    Hier und da nippt er noch von seinem Getränk, die Kehle gewöhnt sich an den Geschmack des Weinbrandprodukts, das, wie Karl Rettig, der Fragenmann, richtig wüsste, Hugo Asbach in Rüdesheim am Rhein seit dem Jahre 1892 in die Welt exportiert. Ein Bier wäre Locher bei weitem lieber gewesen, aber Sie wissen ja, Trinkerweisheit: Bleib bei einem Getränk! So schlittern im Laufe des Abends noch zwei weitere Weinbrandgetränke in Lochers Magen und er selbst ins nächste Unglück.
    »Gib’s ihm! Gib was her! Los!« Locher hat seinen Platz vom Tresen zu einem freien Stuhl nahe der Bühne verlegt. So ist er dem Geschehen näher, das seit zehn Minuten von den hochprofessionellen Musikern präsentiert wird.
    Chris Potter trötet in sein Saxophon, dass ihm die Augen nach außen quellen. Seine Mitmusiker verbiegen ihre Körper, ihre Instrumente verwachsen mit ihren Händen und Gesichtern. Die Amerikaner wollen nichts von ruhiger Atmosphäre wissen. Energetisch knallen sie flotte Standards und Originals von der Bühne.
    »Spielt, ihr Irren!«, schreit Locher. Mit der linken Hand klopft er auf den Tisch, in der rechten pocht das Williglas. Weitere Anwesende, es sollten so um die zwanzig Menschen sein, blicken teilweise befangen in die Runde. Teilweise folgen sie gebannt dem Treiben der Musiker. Jazzfreunde äußern ihre Leidenschaft anders als zum Beispiel Heavy Metaler. Fokussiertes, erfülltes Verfolgen der Synkopen, der Soli, der Riffs, Bobs und Parts verbiegen weniger die Körper, sondern die Sinne. Jazz ist komplex. Jazz ist Wissenschaft – aber freie Wissenschaft. Empirie ohne Regeln. Aber durchaus klar, da wackelt auch mal der Kopf, da imitiert der Zeigefinger einen swingenden Drumstick. Nicht nur rein seelisch das Ganze, auch ein wenig körperlich. Aber doch eher ein Anspruch fürs Innere. Obwohl, beim Applaus: Da dann wieder voll körperlich. Und laut und dankbar und wild und whooooow und so weiter. Locher natürlich auch.
    Seine anfänglichen Zwischenrufe arten nun in Aufforderungen aus. Die Musiker sollen gefälligst Gas geben, er will sehen, was die da am Big Apple so alles treiben.
    »Allright my friend«, wendet sich Chris Potter nach dem dritten Lied an Locher. »You’re swinging man. That’s treat. We play, you groove.«
    »Locher. August Locher«, stellt er sich vor, steht auf und applaudiert in Richtung der Band. Der Barkeeper gibt ihm zum wiederholten Male gestikulierend zu verstehen, er solle sich zügeln. Locher antwortet jedes Mal mit einem beschwichtigenden Fernprost und schluckt weitere Mengen des Asbach Uralts.
    »Cheers, my Jazzplayers. Große Musik. Spielt doch was von Duke Ellington. Haut rein.«
    Und an den Schlagzeuger gerichtet:
    »Solo auf der kleinen Trommel, du zappelndes Stück Tintenfisch! You zappling Inkfish!«
    Zwischen zwei Stücken erhebt Locher sein Glas in Richtung Mr. Potter und dann sofort zur Entschuldigung in Richtung der Bar, an der Barmann und Kassenmann mit verdunkelten Gesichtern das agile Treiben Lochers verfolgen.
    Offenbar lassen sich die Musiker nicht lumpen, denn prompt stößt das Horn das Riff von »Sonnymoon for Two« aus.
    Wallungen klopfen an Lochers Kopf. Von der Innenseite aus. Er trommelt mit der flachen Hand nervös auf den Tisch, verdreht die Augen

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