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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Freyung«.
    »Locher, du fettes Schwein, bist du das?«
    Locher hält inne, schaut aus seiner gebückten Haltung hoch und blickt in die feurigen Augen des Staplerfahrers. Panzer ragt wie ein finsteres Monument hinter ihm auf. Die eine Faust in die linke Flanke gerammt. In der anderen Pranke hält er eine Ölkanne, mit der er messergleich auf Lochers Kehle zielt. Die Unterarme gleichen dicken Holzkeulen. August muss unverzüglich an den bedrohlichen Oger aus Perraults Märchen »Der kleine Däumling« denken. Das Märchen begleitete ihn gestern traumwandlerisch durch die Nacht. Jetzt wird es wahr. Panzer ist ein missgestalteter, plumper Oger. Ein primitiver, menschenfressender Unhold. Leider ist Locher nicht der kleine Däumling, sonst würde er ihm entkommen.
    Locher entgegnet erst verneinend, fragt dann aber brüchig »Was denn?«
    »Ich denk mir schon den ganzen Vormittag, da stinkt doch was.«
    Locher blickt sich fragend um. Hinter Panzer kommt der Arbeitsbetrieb ins Stocken. Die weiteren Kollegen recken Hälse und Köpfe: Aha, Panzer hat Locher auf dem Kieker, da wird’s lustig. Mal schnell hin, denken die und bilden erneut ungewollt ein Spalier um die beiden Hauptpersonen. Die Druckmaschinen surren unbeobachtet weiter.
    Nicht schon wieder.
    »Ich… ich bin das nicht«, stammelt Locher.
    Bitte nicht schon wieder.
    »Na, wer könnte sonst so bestialisch stinken, Locher, hm? Das kann doch nur der Bestiarien-Pfurz sein? Oder Öner etwa? Du willst doch nicht behaupten, dass unser türkischer Freund streng riecht, was? Oder ist es Breitner hier?«
    »Ja vielleicht«, wehrt sich Locher, der es allmählich satthat, den für jedermann zugänglichen Angriffspunkt darzustellen. Was soll er denn noch mehr verlieren als sein Herz?
    »Hee, dumme Sau.« Breitner tritt aus dem Pulk hervor. »Gleich klingelt’s!«
    Aber die Erste bekommt er von Panzer, dem widerlichen Oger, drübergezogen. Eine über den Hinterkopf. Der brutale Staplerarbeiter schnüffelt abwertend an Lochers Kleidung. Auf Hüfthöhe hält er inne, verzieht angewidert das Gesicht. Auch diese Szene stammt aus Perraults »Däumling«. Gleich packt er zu, fürchtet Locher.
    »Sag mal, Locher, kann das sein, dass du dir in die Hosen geschissen hast?«
    Locher ist sprachlos.
    »Hier«, Panzer weicht einen Schritt zurück. »Hier ist Scheiße. Locher, du dreckiges Mistschwein hast Scheiße in der Hose.«
    Nun sieht Locher es auch.Tatsächlich. Sein umgeschlagener Hosensaum hat sich etwas geöffnet und in dieser Falte lagern Fäkalienreste.
    Bombay, denkt Locher. Du abartiges Stück Hund.
    Die tierischen Verdauungsreste fördern einen Gestank zu Tage, der nun auch Locher in die Nase fährt. Von der morgendlichen Säuberungsaktion des Trottoirs gekennzeichnet, die Schuhe wollen wir nicht vergessen, steht er nun am Pranger.
    Du Malangré’sches Drecksvieh!
    Locher wird blass. Unwohlsein kriecht ihm aus dem Magen in die Kehle. Er spürt, wie sich eine unsichtbare Schlinge um seinen Hals zieht.
    Nicht noch eine Schmach. Bitte nicht noch einmal.
    Er zittert.
    »Und hier«, Panzers Stimme johlt vor Vergnügen, »deine ganzen Bücher. Alle voller Mist.«
    Auf Lochers Gesicht malt sich ein mimisches Entsetzen. Panzer hat der Menge nach zu urteilen den gesamten Inhalt seiner Ölkanne auf die mit akribischer Mühe und aufwendiger Hingabe fabrizierten Bücher vergossen. Das ist, und ich bitte Sie mir hier zuzustimmen, ein Akt von hinterhältiger Arglist.
    Locher brüllt erschüttert: »Bist du nicht ganz bei Trost? Meine ganze Arbeit ist…«
    Panzers Faust schnellt vor und ergreift Lochers Halskette, den heiligen Eustachius, das Schild seiner verstorbenen Mutter, und will ihn daran zu Boden ziehen. Surrend reißt das Lederband, Locher entfährt ein panisches »O nein«. Panzer betrachtet das Holzding: »Was ist das denn für ein Kinderkram? Der Schrumpfkopf deines verrückten Großvaters?« Er schmeißt das Schmuckstück achtlos zur Seite und ergreift stattdessen eines von Lochers Ohren. Zieht seinen daran verbundenen Kopf in Richtung Boden und schallt lachend:
    »Putz das auf, Locher. Schleck das weg!« Er deutet auf das dunkle schmierige Öl, das von den nun unbrauchbaren Bestiarienwerken auf den Fabrikboden tropft. In Lochers Ohren erklingen die Angstrufe der Fabeltiere »Hilf uns, wir ertrinken!« Machtlos kauert er auf dem Boden, da steigt unfassbarer Groll in ihm auf.
    Panzer reißt und dreht amüsiert an der Gehörmuschel. Ein piratenartiges »Harharhar« begleitet

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