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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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einfach, wenn man soeben Empfänger eines Kompliments solchen Kalibers war.
    Lieber. Bei allen Hexen von Oz.
    Er würde gerne etwas auf dieses wunderbare Kompliment erwidern, so was wie: »Liebe Frau Cernak, ich betrete diesen Supermarkt nur wegen Ihnen. Sind Sie nicht da, ist mein Tag grau und öde. Ihr Anblick trägt mich durch die vierundzwanzig Stunden, bis ich Sie wiedersehe. Ich warte den ganzen Tag auf den Moment, an der Kasse zu bezahlen, Ihnen in die Augen zu blicken. Beim Geldüberreichen Ihnen über die Hand zu streifen. In jedem meiner Märchen tragen die Feen, die Elfen, die guten Hexen Ihr Gesicht. Ihr makelloser Körper, Ihr gewelltes Goldhaar, Ihre schlanken Finger, Ihre vollen Lippen und Ihr hübsches Gesicht sind in meinen Träumen allgegenwärtig. Als wären Sie an meine Wände gezeichnet. Als hingen Fotos von Ihnen in meinem Haus. Frau Cernak, ich liebe Sie.«
    Er tut dies natürlich nicht.
    Endlich findet er einige Silbermünzen, die er vorsichtig und zitternd in die offene Hand der Cernak gleiten lässt. Ui, eine Berührung. Lochers Herz vollführt eine Jubelpose, reckt beide Kammern in die Luft. Er bekommt einige Bronzemünzen retour. Diesmal ohne Berührung. Eine übertriebene Mimik der Cernak erklärt den Tauschhandel für beendet. Locher, dem dieses Lächeln wieder durch Mark und Bein fährt, bedankt sich stotternd und stolpert glücklich zur Glasschiebetür hinaus.
    Sie hat mich »Lieber« genannt. Die gute Hexe aus dem Supermarkt hat mich »Lieber«genannt.
    Der Zauberer von Oz dreht an Lochers Gefühlsrad. Locher hat die weichen Beine der Vogelscheuche, die lahmen Arme des Blechmanns und die Nervosität des Löwens. Durch und durch wacklig vor Liebe bemerkt er beim Besteigen seines Fahrrads: »Hoppla, meine Tasche.«
    Hat der verblendete Amoureux doch seine Ziege samt seinem Mittagessen an der Kasse vergessen, nachdem er in seiner Hose nach dem nötigen Kleingeld gefummelt hat. Betrunken vor Glück, kehrt er in den Supermarkt zurück, es gibt sehr viel Schlimmeres, wie wir alle wissen, oder etwa nicht? Dort erwartet ihn schallendes Gelächter. In dem Moment, in dem er gerade den Eingang betritt, sausen Locher einige hohe Lachsequenzen um die Ohren. Die Cernak, seine vielleicht zukünftige Frau, da muss ihm nur ein mutiger Moment in die Quere kommen, da gibt es keine zwei Meinungen, steht neben zwei gackernden Verkäuferinnen an der Kasse.
    Humor hat sie auch.
    Da die Damen sein wiederholtes Eintreten nicht bemerkten, weil vielleicht die Lachsalven einer zu hohen Lautstärke unterliegen und man mit einem wiederholten Eintreten innerhalb weniger Minuten eher selten rechnet, unterbindet die Cernak ihren freimütigen, offenbar witzigen Prolog nicht. Locher geht hinter einem Chromständer, an dem frische Kräuter in Plastiktüten aufgehängt sind, in Deckung. Es riecht frisch und würzig. Er will ein wenig ihrem Humor lauschen.
    »… seitdem ich hier bin. Fast jeden Tag. Zuerst räumt er reihenweise die Regale ab, der Trampel. Aber man kann ja nicht mal von einem Elefanten im Porzellanladen sprechen, weil Elefanten haben ja noch was Sympathisches.« Locher muss kichern.
    »Und dann geht’s los. Stinkender Käse, stinkende Jacke, stinkender Locher.«
    Locher kichert nicht mehr.
    »Stinkt. Alles. Der ganze Mensch. Und ich darf mir nach jedem seiner Einkäufe die Hände waschen. Nicht nur wegen dem Käse. Der drückt mir aber auch immer das Geld in die Hand, da ist Hautkontakt gar nicht zu vermeiden. Und dass solch ein unhygienischer Pfui-Teufel diverse Ansteckungsgefahren mit sich bringt, ist doch wohl klar. Eklig. Ich sage euch, einfach eklig. Aber was will man machen, ich kann ihm ja kein Hausverbot erteilen, nicht? Und das vorhin mit der Eintrittskarte. Das gibt es doch in Wirklichkeit nicht, oder? Der ist doch minderbemittelt. Muss so sein.« Die Cernak äfft Locher nach: »Waren Sie auch im »Blue Notte« bei Chris Potter? Ich hab Sie gar nicht gesehen. Zu diesem dummen August fällt dir nichts mehr ein.«
    Die Zuhörerinnen wiehern bei jedem theatralisch ausgeschmückten Wort auf. Locher zuckt bei jedem zusammen. Jeder Satz durchbohrt tief sein Herz. Wie eine Gabel, die das Innere seines Herzens wie Spaghetti aufdreht. Jede Umdrehung erzeugt einen gellenden Schmerz. Jedes Wort zerfleddert sein Märchengebilde.
    Was passiert hier nur? Ich weiß es. Sie wissen es. Locher spürt es. Will es aber nicht wahrhaben. Die Demontage eines für die Cernak überflüssigen Menschen.
    Die Cernak nimmt

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