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Grimms Erben

Grimms Erben

Titel: Grimms Erben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Weber
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Denkprozess nähert sich einer Auflösung. Sie kennen das bestimmt, wenn einmal etwas ins Rollen kommt, wenn das eine unwillkürlich das andere ergibt, ein Aha-Effekt den nächsten jagt, oder man bei einer komplexen Mathematikaufgabe endlich den Lösungsweg erkennt, dann ist jegliche Hinterfragung hinfällig. Der graue Wal – der weiße Wal – Moby Dick – Pip. August hat Moby Dick bestimmt einige Male gelesen, nicht nur der Architektur seiner Behausung wegen. Er hat sogar eine eigene Ausgabe des Buches. »Nennt mich Ismael« – der Beginn der wahnwitzigen Hetzjagd des Matrosen Ismael samt Kapitän, Steuermännern, Schiffsmaaten, Harpunierern und dem kleinen, dunkelhäutigen Schiffsjungen namens Pip. Scharlih, der Bruder, und Pip, der kleine Schiffsjunge. Großvater Zacharias und ein unbekannter junger Mann. Was hat es damit auf sich? Wieso standen diese Namen auf dem Fotorahmen? Wieso Karl May? Wieso Herman Melville?
    Großvaters Verschwinden lässt sich jetzt vielleicht erklären.
    August will es wissen! Angetrieben von einem Sherlock-Holmeshaften Spürsinn sitzt Locher, trotz Kurzhaarschnitt, völlig zerzaust und aufgebracht am Wohnzimmertisch. Seine lädierte Nase hat wieder zu bluten begonnen. Vor Aufregung. Auf dem Tisch liegen, nach einigen scharfsinnigen Überlegungen, ausgebreitet:
    Der skizzierte Bauplan des jugendlichen Zacharias vom grauen Wal mit dem Vermerk Scharlie & Pip im Bauch des Wals, Dezember 1937.
    Augusts eigene und neuere Fassung von Herman Melvilles »Moby Dick«. Ein Weihnachtsgeschenk von Großvater 1986. Und Zacharias’ zerfledderte alte Ausgabe.
    Drei Bände des »Grimmschen Wörterbuchs«.
    Das Papier von der Wählscheibe des Telefons mit dem Wort »Mandlhut« darauf.
    Das Ölgemälde von der Wohnzimmerwand. Die Leinwand ist aus dem Rahmen genommen.
    Die Postkarte vom Baumarkt. »Howgh ruck!«
    Ein Deutschlandatlas. Der schwere von ADAC.
    Ein leerer Papierbogen. Ein Bleistift in Augusts Hand.
    Diese Dinge sind auf dem Tisch ausgebreitet wie Tarotkarten, die zu divinatorischen Zwecken der Zacharias-Geheimnisauflösung dienen sollen.
    Augusts bisherige Notizen auf dem Blatt Papier.
    1. Moby Locher
    In Opas altem Melville auf Seite drei folgende Widmung gefunden:
    »Von Buchmann zu Buchmann: Scharlih, mein Bruder — hier die ganze Geschichte des weißen Ungetüms. Irgendwann werden wir in ihm wohnen. Dein Bruder Ignaz«
    Scharlih und Pip = Scharlih und Ignaz = Zacharias und Ignaz = Großvater und dessen Bruder. Keine weiteren Beweise, oder gar eine Ahnentafel, gefunden. War, wenn es sie gibt, wahrscheinlich in der roten Blechschachtel versteckt.
    Großvater hat ihn nie erwähnt, aber er war offenbar der junge Mann auf dem Foto mit der Nähmaschine.
    Von Buchmann zu Buchmann: Auch Ignaz war wie Großvater Bibliomane.
    2. Grimms Wörterbücher
    Grimms Wörterbücher: Blöderweise nie den Poststempel der Sendungen geprüft. Bücher wurden aber höchstwahrscheinlich aus Ehrwald/Österreich verschickt, zumindest dort gekauft. In einem der Bände befindet sich eine Werbebeilage der Ehrwalder Buchhandlung »Menzinger & Murr«. Warum sind die mir nicht vorher aufgefallen?
    Schickt sie Großvater?Aus Ehrwald?
    3. Mandlhut
    Wählscheibe: Mandlhutnummer angerufen — kein Freizeichen. Papier aus der Wählscheibe genommen, gedreht. Auf Rückseite mit Bleistift: Onkel Hermann, Bürgermeister zu Grainau. Rest unleserlich.
    Mandlhut = vielleicht Hermann Mandlhut. Wer ist Onkel Hermann? Noch nie gehört. Auskunft angerufen: Kein Hermann Mandlhut in Grainau. — Vielleicht Mandlhuthütte von Onkel Hermann?
    4. Ölgemälde
    hinten auf Leinwand steht: Unterm Vorderen Tayakopf, zwischen Hoher Gang und Seebenwand, 1889.
    Ist dort vielleicht die Mandlhuthütte? Onkel Hermanns Hütte?
    Warum zog sie Großvater so in den Bann?
    5. Atlas
    Grainau und Ehrwald gesucht. Deutsch-Österreichisches Grenzgebiet. Ein kleines Areal zwischen Ehrwald und Mieming mit Kugelschreiber eingekreist. Inmitten der Bergwelt.
    Ist dort die Mandlhuthütte? Ist dort etwa Großvater? Mit seinem Bruder Ignaz?
    August erinnert sich an Großvaters Satz, nachdem er ihn über die Sinnhaftigkeit eines Atlas befragt hatte.
    Ein Mensch muss wissen, wo er hin will, das ganz besonders.
    Wollte er dorthin, wo dieser blaue Kugelschreiberkreis alarmierend aufleuchtet?
    Wie war die Nachricht auf dem Abschiedsbrief?
    …es drängt und bestürmt mich ein Vorhaben, das ich zu halten geschworen habe. Wann ich wiederkomme, weiß ich nicht… Bis bald.

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