Grimms Erben
bestätigen, dass Sie in der Nacht von Samstag auf Sonntag in Ihrem Garten Feuer gemacht haben. Das dürfen Sie nicht.«
Locher, zu konsterniert und perplex zugleich, um zu antworten, zieht Falten des Unverständnisses auf seine Stirn.
Was?
Nach einer Weile: »Wer sagt das?«
Lochers Stimme klingt erstaunlich ruhig. Er ist zu müde, zu ausgelaugt, zu verletzt in allen Belangen, um sich über diese lächerliche Anzeige auch nur einen tieferen Gedanken zu machen.
»Die Kowalski und die Engelhardts.«
Zum ersten Mal ertönt die engelsgleiche Stimme des blonden Jünglings, der sofort von seinem älteren Kollegen einen bösen Blick erntet. Anfängerfehler. Natürlich sollen die Urheber dieser Anschuldigungen anonym bleiben.
Der junge Kollege Brinkmann begeht den nächsten Fehler: »Das ist nicht alles. Man munkelt Versicherungsbetrug, Frau Kowalski meint, Sie würden…«
Saller fährt schnell dazwischen: »Locher, sollten wir wiederum erfahren, oder vielmehr Sie dabei erwischen, wie Sie in dieser Gegend ein offenes Feuer machen und die angrenzenden Grundstücke einer übergreifenden Brandgefahr aussetzen, müssen Sie mit einer Anzeige rechnen, Locher, haben Sie mich…?«
»Sagen Sie mal, ist Ihnen eigentlich bewusst, welchen Drecksmist Sie hier verbreiten?« Locher kann nicht mehr. Nicht mehr an sich halten.
»Vorsicht, Locher, das Eis ist dünn. Beamtenbeleidigung.« Saller zieht wieder am Gürtel seine Hose über den Bauchnabel.
»Was Sie hier sehen, Herr Wachtmeister, ist das Resultat eines gemeinen Brandanschlages. Initiiert von den Menschen, die Sie auf mein angeblich selbstgelegtes Feuer aufmerksam gemacht haben«, sagt Locher eindringlich. »Das war Brandstiftung. Die hätten mir fast das Haus abgefackelt.«
Saller: »Hoho, Locher. Das ist eine schwerwiegende Anschuldigung.
Können Sie das beweisen? Der Schritt von Falschaussage zu Rufmord ist kurz. Also – wir verstehen uns.« Locher fasst es nicht, was er da hört. Er fasst es nicht, was ihm den ganzen Tag schon widerfährt. Die beiden Beamten neigen dazu, sich in Richtung Auto zu entfernen.
Das blonde Schnittlauchbürschchen dreht sich noch mal um, deutet auf den Betonpfosten an Lochers Gartentor und quiekt:
»Und hier, nicht? Sie sollten Ihr Namensschild etwas dezenter gestalten. Das gleicht ja fast schon Erregung öffentlichen Ärgernisses.«
»Ja, Grimm und Ingrimm, denken Sie denn, ich würde meinen eigenen Namen dermaßen in den Dreck ziehen? Denken Sie denn, ich hätte diese Verschandelung hier angebracht? Denken Sie denn, ich bin blöde?«
»Man weiß nie, Locher. Entfernen Sie das. Schnell.«
Mit diesem Satz deutet der beleibte Polizist erst auf das Klingelschild, dann auf die Blutmale auf den Textilien. Routiniert schwingen sich Oberwachtmeister Saller und sein Kollege Brinkmann in das Auto, das sich gemächlich nach einer Wende in fünf Zügen aus der Hinzestraße entfernt.
BAM! Die Welt dreht durch!
In welchem grausigen Märchen befinde ich mich hier? Das Märchen vom Schlamasselland?
Nicht schlecht, Locher, gar nicht mal so schlecht.
F – TAPETENFRESKEN
Da er seinen Freund Nilrem in freier Umgebung weiß, betritt Locher schnell sein Haus.
Er schlurft durch die Diele ins Wohnzimmer.
In der Küchentür lehnt er sich an den Rahmen. Aus der Magengegend kommt ein tiefes Rumoren. Wahrscheinlich ein Tumor, denkt sich Locher.
Bei meinem Glück heute.
Aber eigentlich ist es Hunger, da er seit dem Schnittlauchbrot am Morgen keine weitere Nahrungsaufnahme vollzogen hat. Aber nach Essen ist ihm nicht.
Jede Geschichte hat ihre Moral. Wo ist die Moral bei einem Tritt in Hundekot? Wo ist die Moral bei einer Verunreinigung seines Besitzes und seines Namens? Bei einem Brandanschlag, bei einer Tracht Prügel, bei dem Verlust seines Arbeitsplatzes? Bei einem gebrochenen Herzen? Wo ist die Moral? Lochers Weltbild scheint zu wackeln.
Eine Moral MUSS es geben.
Die Worte seines Großvaters schwirren in seinem Kopf umher. Saug es auf!
Was denn? Was denn aufsaugen?Den ganzen Mist, der mir widerfährt?
Er würde sich gerne an tröstende Bilder und Worte seiner Mutter erinnern – doch da ist nichts. Nur wenige Erinnerungen an sie blieben bestehen. Für den Moment nichts Nützliches.
Aber eine Moral MUSS es geben.
Ein Gedankenkarussell fetzt durch seinen Kopf.
Wie er so sinniert, streifen seine Augen den Fußboden, auf dem er einige helle Scherben erkennt. Er stockt. Hat er heute Morgen etwa ein Glas fallen lassen? Nicht dass er wüsste,
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