Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Dort lernte er einen gebürtigen Piemontesen namens Umberto von Alessandria kennen. Dir habe ich bereits von der Freundschaft zwischen dem Mönch und meinem Vater erzählt«, sagte er an Grimpow gewandt.
Der Knappe nickte zustimmend.
»Nachdem mein Vater der Schüler des weisen Mönchs geworden war«, fuhr der Ritter fort, »reiste er unermüdlich mit ihm durch die Lande, ehe er sich in Paris niederließ und dort meine spätere Mutter kennenlernte. Bald darauf kam ich zur Welt und sie gaben mir den Namen Salietti. Wir zogen nach Lyon und mein Vater lehrte an der Universität Philosophie. Wenn er Bruder Umberto in der Abtei Brinkum besuchte, wo dieser Zuflucht vor der Inquisition gefunden hatte, nahm er mich oft mit.«
Grimpow erinnerte sich an diesen Teil der Geschichte und dass Salietti sie ihm erzählt hatte, als er einmal die Vermutung äußerte, dass der blinde hundertjährige Mönch womöglich einst den Stein besaß.
»Mein Vater wollte aus mir ebenfalls einen gebildeten jungen Mann machen, daher schickte er mich einige Zeit später, als Sechzehnjährigen, zurück nach Paris, wo er mich in die Obhut eines Gelehrten des Kosmos namens Gandalf Labox gab«, sagte Salietti und lächelte Weynelle an. »Doch als mein Vater erkannte, dass das Blut der Estaglia durch meine Adern strömte, beschloss er, mich mit achtzehn meinem Großvater zu unterstellen, damit er mich zu einem Ritter erzog und im Waffenhandwerk unterwies, während ich gleichzeitig meine Studien im nahen Padua fortsetzte. Dort blieb ich, bis ich nach dem Tod meines Großvaters dessen Herzogtum erbte, nachdem mein Vater das Erbe ausgeschlagen hatte.«
An diesem Punkt unterbrach sich Salietti und machte eine Pause. »Das alles habe ich euch nur erzählt, damit ihr das Folgende versteht, worum es mir eigentlich geht.
Gegen Ende des vergangenen Winters«, fuhr der Ritter fort, »als ich im Palais meines Herzogtums im Piemont weilte, erhielt ich einen seltsamen Brief ohne jeden Stempelabdruck im Siegellack. Ich öffnete ihn mit großer Neugier und fürchtete erst, meine Kameraden in Padua könnten sich einen Scherz erlaubt haben, um dann verblüfft festzustellen, dass es eine Nachricht des Bibliothekars aus der Abtei Brinkum war. Er wende sich im Auftrag von Umberto von Alessandria an mich, so las ich, da dieser nicht selbst zur Feder greifen könne. Bruder Umberto war damals schon blind und seit über zwanzig Jahren bettlägerig. Anschließend unterrichtete mich Rinaldo von Metz über den Tod meines Vaters in den Bergen unweit der Abtei...«
»Dann war der tote Edelmann also dein Vater?«, fragte Grimpow entgeistert.
»Ganz recht, mein Freund«, gestand Salietti bedrückt, »und ich bedaure aufrichtig, dass ich es dir bisher verschwiegen habe. Aber inzwischen wirst du verstehen, warum ich mich dazu genötigt gefühlt habe.«
»Dann hat dein Vater den Stein besessen!«, rief Grimpow, einer Ohnmacht nahe.
Als das Wort »Stein« fiel, setzte Weynelle eine verständnislose Miene auf, obwohl sie Saliettis Worten bisher hatte folgen können. »Wovon sprecht ihr? Was hat jener Stein mit unseren Vätern zu tun?«, fragte sie. Offensichtlich brannte sie darauf, in all die Dinge eingeweiht zu werden, die ihr der Vater stets vorenthalten hatte.
»Ihr werdet alles verstehen, wenn ihr mich nur fortfahren lasst«, sagte der Ritter und versuchte die Verwirrung, die er gestiftet hatte, wieder zu glätten.
»Einverstanden, erzähl weiter«, willigte Grimpow ein. Er holte den Stein aus dem Leinensäckchen an seinem Hals und gab ihn an Weynelle weiter. Sie nahm ihn so behutsam in die Hand, als vertraute der Knappe ihr das kostbarste Kleinod an.
»Jedenfalls drängte Bruder Rinaldo in seinem Brief darauf, dass ich die Schneeschmelze in den Bergen nutzte und ohne Aufschub zur Abtei Brinkum aufbrach, weil ich, wie er mir zu verstehen gab, eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit übernehmen sollte. Ich wusste, dass im Frühjahr in der Festung von Fenio de Vokko das Turnier der elsässischen Burgen stattfand. Da ich ohnehin in Richtung Norden ziehen würde, packte ich meine Rüstung auf ein Maultier und wollte die Reise nutzen, um in jenen Landen zu Ruhm und Ehren zu kommen. Ich sattelte also mein Pferd und machte mich alsbald auf den Weg zur Abtei. Nachdem ich eine Woche über die hohen Gebirgspässe der Alpen geritten war, erreichte ich Brinkum und begegnete dir auf dem Klosterpfad. Du hast mir von deinem sehnlichen Wunsch erzählt, Schildknappe eines fahrenden
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