Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Ritters zu werden...«
Abermals unterbrach ihn Grimpow. »Dann wusstest du bei deiner Ankunft ja noch gar nicht, welche Mission in der Abtei auf dich wartete, und hast mich trotzdem zu deinem Schildknappen ernannt«, hielt er seinem Freund vor.
»Ich habe in deinem Blick so viel Abenteuerlust funkeln sehen, dass es mir ein Vergnügen war, dein Spiel mitzuspielen«, rechtfertigte sich Salietti lachend.
»Du hast dich über mich lustig gemacht?«
»Nur zu Anfang. Als ich die Abtei betrat, hast du mich dem Bibliothekar vorgestellt, damit er mich zu Bruder Umberto führte, der noch immer auf demselben Lager in der Krankenstube ruhte wie in meiner Jugend. Bruder Rinaldo ließ uns allein, und als der blinde Mönch meine Gegenwart bemerkte, war er so ergriffen, dass seine Augen feucht wurden, als wollten sie sich mit Tränen füllen. Er gestand mir, dass ihn der Tod meines Vaters schmerze wie der seines eigenen Sohnes und dass er mir ein Geheimnis anvertrauen wolle, von dem nur wenige wüssten. Mein Vater sei im Besitz eines wundersamen Steins gewesen, des lapis philosophorum, der in Wirklichkeit aber weit mehr sei als nur das. Er erzählte mir, dass er diesen Stein einst selbst besessen und von seinem Lehrer erhalten habe.«
Salietti räusperte sich kurz, bevor er fortfuhr. »Er selbst habe ihn an meinen Vater weitergegeben, als dieser in Padua sein Schüler war. Dieser Stein, so erläuterte er mir, verleihe Weisheit und sogar Unsterblichkeit, aber niemand dürfe ihn allzu lange besitzen. Schließlich sollten seine Wunder auch anderen zuteilwerden und ihnen schrittweise die Rätsel der Natur und des Kosmos enthüllen. Die Besitzer des Steins und die ihnen nahestehenden Weisen hätten im Laufe der Jahrhunderte einen Geheimbund namens Ouroboros gegründet. Dieser drohe jetzt unterzugehen, da der Stein einem Jungen namens Grimpow in die Hände gefallen sei, der in der Abtei lebe.«
Am liebsten hätte Grimpow Salietti an dieser Stelle noch einmal unterbrochen, doch er beherrschte sich und hörte seinem Freund gebannt bis zum Ende zu.
»Bruder Umberto erzählte mir, du hättest den Leichnam meines Vaters im Schnee gefunden und dass ein Halunke, mit dem du eine Hütte in den Bergen teiltest, dir den Stein in der Annahme gab, es sei ein Amulett. Dann sagte er mir, dass sich die Leiche meines Vaters im Schnee in Luft aufgelöst habe, weil jeder, der je den Stein besessen hat, und jeder, der ihn im Sterben in der Hand hält, ohne jede Spur von dieser Welt geht. Danach wohnt er bis in alle Ewigkeit in einem Schloss in den Sternen und kommt endlich in den Genuss der Unsterblichkeit.«
»Das muss die Burg sein, von der Aidor Bilbicum in seiner Handschrift schreibt!«, rief Grimpow und stürzte Weynelle damit erneut in Verwirrung.
»Dann hat Bruder Umberto mir noch erzählt, es gebe außer dem Stein noch einen weiteren wunderkräftigen Gegenstand. Diesen hätten in früherer Zeit einige Weise des Ouroboros-Bundes im Salomonischen Tempel zu Jerusalem gefunden. Auf Umbertos Geheiß hätten ein paar Tempelritter ihn nach Frankreich geholt, wo ihn anschließend die Weisen verborgen haben, da niemand außer den Mitgliedern des Bundes ihn je finden sollte. In den letzten drei Jahrhunderten hätten alle Weisen des Ouroboros-Bundes um dieses Geheimnis gewusst, das ihre ersten Meister seiner wunderkräftigen Eigenschaften wegen versteckt hatten. Gleichwohl hätten sie verschlüsselte Hinweise hinterlassen, damit es eines Tages zum Wohle der ganzen Menschheit gelüftet werden könne.«
Grimpow und Weynelle wechselten einen Blick, als Salietti kurz innehielt.
»Alsdann versicherte mir Bruder Umberto, nun sei die Zeit dafür reif«, fuhr der Ritter fort. »Unwissen und Aberglaube hätten sich der Welt bemächtigt, daher sei es notwendig, das Geheimnis zu enthüllen, um der Weisheit zum Sieg über die fanatische religiöse Volksverdummung der Kirche zu verhelfen. Diese habe es nämlich nicht nur auf die Weisen abgesehen und ließe sie auf dem Scheiterhaufen brennen, sondern auch auf den Stein und den wunderkräftigen Gegenstand, von dem er mir gerade berichte. Im Zuge dessen sei nun einer der Weisen gefangen genommen und gefoltert worden und habe unter entsetzlichen Qualen den Namen meines Vaters preisgegeben. Er sei der letzte Besitzer des Steins und der Verantwortliche des Ouroboros-Bundes. Der päpstliche Gesandte, der das Geheimnis der Weisen lüften sollte, so sagte er mir, sei ein Inquisitor aus Lyon, Burumar de Gostelle. Er habe
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