Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Weynelles Nähe, die nur wenige Schritte von ihm entfernt war, und meinte, in Erwartung der versprochenen und ersehnten Begegnung schon ihren beschleunigten Atem zu vernehmen.
Weynelle ihrerseits lag mit geschlossenen Augen und wachen Sinnen in ihrem Zimmer und ließ ihre Gedanken in die jüngste Vergangenheit abschweifen, zu ihrem Vater, der erlittenen Gefangenschaft und dem Kummer über seinen Tod. Immerhin regte sich eine Hoffnung in ihrer Brust: die wiedererlangte Freiheit und die Begegnung mit Salietti, dessen Liebe ewig zu währen versprach. Als die junge Frau hörte, wie sich die Tür ihrer Kammer auftat und der Ritter leise, um sie nicht zu erschrecken, ihren Namen flüsterte, da wusste sie, dass ihre nackten Körper in dieser mondlosen Nacht unter unerschöpflichen Liebkosungen und endlosen Küssen auf dem Lager miteinander verschmelzen würden.
Die Neuigkeiten, die Jan Hinkebein ihnen am nächsten Morgen zum Frühstück unterbreitete, waren so frisch wie die Forellen und das noch warme Brot.
Schlaftrunken fanden sie sich im Gastraum ein, als der Wirt sagte: »Nachrichten verbreiten sich in Straßburg so schnell wie der Nordwind.«
»Was hast du denn für Neuigkeiten zu berichten?«, fragte Salietti.
»In der ganzen Stadt wird über nichts anderes gesprochen als über den verwundeten Baron.«
»Das heißt, er ist noch am Leben?«, fragte Weynelle voller Hoffnung. Fenio de Vokko hatte sie zwar in seiner Festung gefangen genommen, aber immerhin hatte er den Inquisitor persönlich davon abgehalten, sie der Folter auszuliefern.
»Er hatte Glück, der Pfeil hat ihm die linke Schulter durchbohrt, aber nicht das Herz getroffen. Er ist schwer verletzt und sehr erzürnt über den italienischen Ritter, der das Turnier gewonnen und anschließend seine Herzensdame entführt hat. Es geht sogar das Gerücht, dass einige Spielleute schon Romanzen zu den Ereignissen schrieben, um sie mit den schönsten Balladen ihres Liederschatzes auf Straßen, Plätzen und Märkten vorzutragen.«
Grimpows und Weynelles Blicke wanderten zu Salietti, den sie sich beileibe nicht als den Helden eines Liebesliedes vorstellen konnten.
»Weiß man, wer den Pfeil auf den Baron abgeschossen hat?« Grimpow stellte die Frage, die ihm seit einer ganzen Weile im Kopf herumsummte wie eine lästige Hummel.
»Nein, aber die Leute zweifeln nicht daran, dass es ein als Bauer verkleideter Tempelritter gewesen ist, der sich auf einem der Festungstürme herumgetrieben hat. Offenbar hat er einen Bogenschützen des Barons überwältigt, ihm die Kleider entwendet und auf einem kleinen Wachtturm genau gegenüber der Tribüne Stellung bezogen.«
»Konnten sie ihn festnehmen?«, wollte Grimpow wissen.
Jan zog die Mundwinkel nach unten. »Noch nicht und wahrscheinlich wird es ihnen auch nicht gelingen, bevor die Heere des Barons und des Königs von Frankreich die Burgen des Steinkreises dem Erdboden gleichgemacht haben. Dorthin soll er nämlich geflohen sein.«
»Ich weiß, wer den Pfeil auf Fenio de Vokko abgeschossen hat«, sagte Salietti und zog alle Blicke auf sich.
»Hast du jemanden den Bogen spannen sehen?«, fragte Jan.
»Nein, aber ich habe mit ihm auf dem Weg zur Festung des Barons gesprochen.«
»Meinst du Ritter Radogil de Curnillonn?«, fragte Grimpow.
»Ja. Er hat mir auch vom Giftmord an Papst Clemens V. und von der Angst des französischen Königs erzählt, dass sich der Fluch des Großmeisters der Templer erfüllt, der sie beide vor Gottes Gericht zitierte. Radogil de Curnillonn sagte mir außerdem, dass er zur Festung des Barons unterwegs sei, weil er dort eine Mission zu erfüllen habe. Es war sicher kein Zufall, dass sein Knappe einen großen Bogen auf dem Rücken trug und an seinem Sattel ein Köcher voller Pfeile mit weißen und schwarzen Federn hing. Vielleicht wollten sie während des Turniers König Philipp IV. töten und haben, als dieser nach Paris umgekehrt ist, spontan beschlossen, mit seinem Bundesgenossen Fenio de Vokko kurzen Prozess zu machen, damit die Reise wenigstens nicht umsonst war«, sagte Salietti.
»Das Gerücht von diesem Fluch ist bis nach Straßburg durchgedrungen, ebenso wie die Nachricht vom Papstmord. Es würde mich kaum wundern, wenn sich nicht schon bald eine weitere, ebenso tragische wie undurchschaubare Legende um die beiden ranken würde«, bemerkte Jan.
»Außerdem hat der Ritter damals bemerkt, dass ihm das Wappen deines Schildes bekannt vorkomme. Erinnerst du dich?«, ergänzte
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