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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Abalos
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wehmütig.
    »Auch wenn es dir noch so schwerfällt, du bistjetzt bloß noch eine Geächtete und auf dich wurde ein Kopfgeld ausgesetzt, vergiss das nicht. Wir müssen in dieser großen Stadt auf der Hut sein. Jeder Schatten kann hier Verdacht erregen und jeder Fremde kann sich als Feind entpuppen«, sagte Salietti, der nur ungern die Gefühle seiner Liebsten verletzte.
    »Sobald wir dem Teufel entgegengetreten sind und zu seinen Füßen die letzten Worte gefunden haben, werden wir Paris den Rücken kehren. Lasst uns jetzt die Suche nach dem Geheimnis der Weisen fortsetzen. Zum Klagen haben wir keine Zeit«, sagte Grimpow, der Weynelle damit Mut machen wollte.
    »Du hast recht, Grimpow. Lasst uns tun, was Salietti vorgeschlagen hat.«
    In den Straßen von Paris wimmelte es nur so von Menschen, die bei dem Ritter lebhafte Erinnerungen an seine Jugend wachriefen. Grimpow kamen sie dagegen vor wie das biblische Babel, das Bruder Brasco einmal erwähnt hatte. Der Küchenmönch hatte ihm erzählt, wie Gott den Hochmut der Menschen bestraft hatte, als sie einen Turm bis in den Himmel bauen wollten. Er habe ihre Sprachen verwirrt, sodass sie einander nicht mehr verstehen konnten. Damit verhinderte er, dass der Mensch ihm gleich würde.
    Als Grimpow nun in der Ferne die Türme unzähliger Kirchen und die der Kathedrale von Notre-Dame sah, die wie der legendäre Turm zu Babel herausfordernd gen Himmel strebten, da fragte er sich, ob Gott die Menschen in dieser Stadt vielleicht noch einmal zu Tumult und Lärm verdammt hatte, die sie jetzt im Stadtviertel der Händler, unweit des Seineufers, umwogten. Noch nie hatte der Junge solch dichte Häuserreihen in einheitlich angelegten Straßenzügen erblickt, und er bezweifelte, dass er diese großartige Stadt je wiedersehen würde, sobald er von ihr Abschied genommen hatte.
    Hunderte von Menschen schoben sich, vom Marktgeschrei begleitet, über das Pflaster, während die Bauern an den Ständen ihr Obst und Gemüse für seine unerreichte Kösdichkeit priesen, die Fischer auf das silbrige Schimmern ihres frischen Fangs verwiesen, die Fleischer die gehäuteten, noch blutigen Leiber ihrer besten Lämmer wie Trophäen zur Schau stellten und die Gewürzhändler lauthals die Wunderwirkung ihrer Kräuter, Tränke und Elixiere beschwörten, deren berauschender Duft die Luft erfüllte.
    Sobald sie die Pferde in den Stallungen der Herberge in der Nähe des Stadtviertels Innocents untergebracht hatten, folgten sie Weynelle durch die gewundenen Gässchen, die sie ebenso gut zu kennen schien wie die Linien ihrer Hand. Sie kamen an einem kleinen Friedhof vorüber, über dessen niedrige Einfassung Grabmäler und Zypressen ragten, ließen die Straße der Goldschmiede und die der Weber hinter sich und gelangten noch einmal zum rechten Seineufer. Grimpow trug eine Satteltasche mit der Landkarte des Unsichtbaren Weges, Aidor Bilbicums Handschrift und seinen Aufzeichnungen samt dem Kohlestift quer über der Brust, während Salietti den Beutel mit den Goldbohnen und das goldene Petschaft des Ouroboros-Geheimbundes in seiner Kleidung versteckte.
    Weynelle ging vorneweg, ohne ein einziges Mal zu stocken, bis sie die Brücke zur Insel Ipsar überquerten. Nun tauchten rechter Hand die Türme einer düsteren Festung auf, in deren Kerkern die Ketzer der Inquisition seit vielen Jahren schmachteten und gefoltert wurden. Zu ihrer Linken erhob sich dagegen majestätisch die Kathedrale von Notre-Dame, als böte jene winzige Insel genügend Platz für beides: Hölle und Himmel.
    Geblendet von der künstlerischen Pracht der Hauptfassade, ahnte Grimpow, dass die Gemäuer jenes erhabenen Bauwerks weit mehr Geheimnisse bargen als die gesuchten. Er erinnerte sich wieder an die Worte des Einsiedlers, der ihnen geraten hatte, die Sprache des Steins zu verstehen, wenn sie das Geheimnis der Weisen ergründen wollten. Von irgendwelchen Fabelwesen und Ungeheuern war jedenfalls bisher keine Spur zu sehen.
    Als erriete sie seine Gedanken, zeigte Weynelle auf die höchsten Gesimse der Kathedrale und sagte: »Sieh nur, Grimpow, dort oben sind die Fabelwesen und Ungeheuer aus der Handschrift.«
    Als Grimpow mit dem Blick Weynelles Arm folgte, da sah er die Fabelwesen auf den Kranzgesimsen hocken und von oben auf das Elend der Menschen herabschauen. Es waren Drachen dabei, Vögel, Teufel und Raubtiere mit fürchterlich aufgerissenen Mäulern, als wären sie die soeben zu Stein erstarrten Wächter jener schwindelnden Höhen oder

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