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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Abalos
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deutlich hören zu können. Da begriff der Junge, dass es in allen Räumen der Abtei, auch in den Gemächern des Abtes, eine solche geheime Stelle gab, die nur Bruder Rinaldo kannte.
    Der alte Mönch gestand ihm, dass er auf diese Weise in Erfahrung gebracht hatte, was Burumar de Gostelle dem Abt über den Tempelritter und das Geheimnis der Weisen mitgeteilt hatte. Denn dieses unerhörte akustische Hilfsmittel war ihm bekannt, seit sein Amtsvorgänger in der Bibliothek es ihm vor seinem Tod aufgezeigt hatte. Seinerseits hatte er es ebenfalls von seinem Vorgänger erfahren, genau wie dieser und so weiter bis zu den Anfängen der Abtei. Deren geheime Schlupfwinkel, Durchlässe und offene Stellen waren allesamt in zusammengerollten Plänen festgehalten, die im Geheimkabinett der Bibliothek lagerten.
    Für Grimpow bestand kein Zweifel daran, dass auch das Geheimnis der Weisen auf diesem Wege weitergegeben worden war, vom einen zum nächsten, Generation um Generation. Er fragte sich, ob der in den Bergen erfrorene Edelmann vielleicht der Letzte in dieser Reihe gewesen war und nun außer ihm niemand mehr von der Existenz des Steins wusste, den er um den Hals trug. Mithin sah der Junge sich von Geheimnissen umgeben, von denen die meisten ihm so unergründlich erschienen wie die Himmelskuppel in sternenklaren Nächten.
    Sobald der Nachthimmel frei von Wolken und Gewittern war, stieg Bruder Rinaldo nach der Komplet auf einen Hügel in der Nähe der Abtei, um seine astronomischen Beobachtungen fortzusetzen. Seit vielen Jahren schrieb er an einer umfangreichen astronomischen Abhandlung mit dem Titel Theorica Planetarum und wollte, so versicherte er Grimpow, sein großes Werk zu Ende bringen, bevor Gott beschloss, ihn zu sich zu rufen.
    Der Junge begleitete ihn jeden Abend und half ihm, das Astrolabium zu tragen, einen eigenartigen Apparat aus Metall, mit dem sich die verschiedensten Beobachtungen über die Position der Sterne am Himmelsgewölbe anstellen ließen und mit dem Grimpow unter Anleitung des alten Mönchs alsbald umzugehen lernte. Bruder Rinaldos Astrolabium war eine Metallscheibe an einem Ring, auf deren äußerem Rand eine 360-Grad-Skala eingraviert war, während ihr innerer Rand in die vierundzwanzig Stunden des Tages unterteilt war. Darüber lag ein drehbares Lineal, das den gewünschten Himmelskörper anzupeilen erlaubte. Über diese erste Scheibe konnte der Astronom mehrere andere Scheiben schieben, je nach Zweck, darunter eine Skala zur Umrechnung der Winkel in Grade. Das Astrolabium wurde senkrecht an einem Ring gehalten und ließ sich auf den gewünschten Himmelskörper richten, um dessen Position und Höhe am Nachthimmel zu messen.
    Bruder Rinaldo notierte das jeweilige Gestirn, seine Messungen und die Uhrzeit auf einer Tafel. Diese Angaben übertrug er am folgenden Tag in die astronomische Handschrift, die er in Lateinisch in der Schreibstube abfasste, wo andere Mönche bedeutende alte Texte übersetzten, abschrieben oder illuminierten.
    In einer Neumondnacht, während Grimpow vom Hügel aus Sternschnuppen beobachtete, die so klein waren wie Glühwürmchen und blitzschnell über den Himmel schossen, entrollte Bruder Rinaldo ein Pergament, das er bei sich trug. Es war eine kostbare runde Sternkarte, auf der die gesamte Himmelskuppel abgebildet war.
    »Hier sind alle Sterne eingezeichnet, die du momentan sehen kannst. Setz dich zu mir und überprüfe es, indem du den Himmel mit der Karte vergleichst.«
    Grimpow tat, wie ihm geheißen. Er setzte sich ins feuchte Gras und hielt die Sternkarte in die Höhe, bis der echte Nachthimmel mit der runden Darstellung voller leuchtender Punkte übereinstimmte. Es war, als hielte er das ganze Firmament in der Hand. Neben jedem Punkt, der mit Leuchttinte eingezeichnet und deshalb gut erkennbar war, stand jeweils der Name des Sterns, während gerade Linien ihn mit den übrigen Sternen seines Sternbildes verbanden. Der Junge brauchte nicht lange, bis er das strahlend helle Licht des Planeten Venus an beiden Himmeln entdeckt hatte. Als Nächstes machte er Saturn und Jupiter ausfindig, dann Beteigeuze, Bellatrix und Rigel im Sternbild des Orion sowie Pollux im Osten. Während er den wirklichen und den künstlichen Himmel miteinander verglich, beobachtete er Dutzende von Funken, die über den Himmel stoben wie orientierungslose Lichtwesen.
    »Ist sie nicht wunderbar?«, fragte Bruder Rinaldo und setzte sich neben ihn.
    »Was denn?«, fragte Grimpow, denn er wusste nicht, was

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