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Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Grimpow Das Geheimnis der Weisen

Titel: Grimpow Das Geheimnis der Weisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Abalos
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der alte Mönch genau meinte.
    »Die Himmelskuppel.«
    Grimpow hatte bereits an den Abenden zuvor Gelegenheit gehabt, sich an der Betrachtung des Sternenhimmels zu erfreuen, bis er der Faszination seiner Schönheit erlag wie ein junger Mann beim Anblick der Frau seiner Träume. In der Bibliothek hatte er sich alles angeeignet, was je über die Erde, die Sonne, den Mond, die Planeten, ihre Trabanten und die Sterne geschrieben worden war, und hatte eine Vorstellung davon, wie viele Rätsel die Dunkelheit des Universums barg. Aber er wusste auch, dass der Mensch diese eines Tages in vollem Umfang erfassen würde, obgleich bis dahin noch Tausende von Jahren vergehen konnten. So wie man mit dem Astrolabium die Position der Sterne berechnen konnte, würden irgendwann riesige Apparate die Menschen bis zu den Sternen bringen.
    »Eines Tages werden die Menschen mit der gleichen Selbstverständlichkeit zu den Himmelskörpern reisen, mit der sie heute auf ihren Pferden reiten«, wagte er zu sagen, ohne den sternenübersäten Nachthimmel aus den Augen zu lassen.
    »Was du da sagst, ist Frevel. Nur Gott kann den Himmelskosmos bewohnen«, erwiderte Bruder Rinaldo und sah Grimpow aus den Augenwinkeln an, als musterte er einen Besessenen. Dann sann er einen Moment nach und fügte hinzu: »Aber vielleicht hast du recht und es gibt Augen, die über unsere Zeit hinausblicken und sich in die fernste Zukunft versetzen können, so wie es die Propheten getan haben. Deine Augen scheinen diese vorzügliche Eigenschaft zu besitzen, seit du auf den Leichnam des Edelmannes gestoßen bist. Ich weiß eigentlich nicht, warum mich deine Worte überraschen.«
    »Das ist keine Frage der Prophezeiung, sondern der Wissenschaft«, erklärte Grimpow. »Vor einem guten Monat habe ich mit Bruder Umberto von Alessandria in der Krankenstube gesprochen, und er hat mir etwas gesagt, was mir geholfen hat, es zu begreifen.«
    »Du hast mit Bruder Umberto gesprochen? Er redet seit Jahren mit niemandem mehr. Was hat er dir denn gesagt?«, erkundigte sich der Mönch mit lebhaftem Interesse.
    »Er hat vom Stein der Weisen und von den Weisen selbst gesprochen und mir versichert, dass der geheimnisvolle Ursprung des lapis philosophorum über den Sternen liegt.«
    »Dieser Hundertjährige ist und bleibt verrückt. Über den Sternen ist nur Gott!«, rief Bruder Rinaldo verärgert.
    »Ihr selbst habt mir im Geheimkabinett der Bibliothek gesagt, dass es schwer ist, an Gott zu glauben, nachdem der Mensch begonnen hat, sich selbst und alles um ihn herum zu erklären«, entgegnete Grimpow.
    Bruder Rinaldo wurde nervös. »Dass es mir manchmal schwerfällt, an Gott zu glauben, bedeutet nicht, dass ich ihn leugne. Würde ich nicht mehr an den Allmächtigen glauben, dann könnte ich nicht weiterleben. Das Dasein eines Mönchs hat keinen Sinn, wenn er nicht jeden Tag seinen erhabenen Gott lobpreist.«
    »Vielleicht sprechen wir gar nicht über so unterschiedliche Dinge, und was für Euch Gott ist, nenne ich ganz einfach Weisheit. Letztendlich hat beides die gleiche Bedeutung, nur die Blickwinkel sind unterschiedlich: Für Euch hat Gott die Welt erschaffen, ohne sie zu erklären, und für mich erklärt die Weisheit die Welt, ohne sie erschaffen zu haben«, sagte Grimpow.
    »Mir scheint, in diesen Wochen hast du mehr gelernt, als für einen Jungen in deinem Alter angebracht ist. Aber vergiss nicht, du wirst immer auf eine Frage stoßen, auf die du keine Antwort findest...«
    Der Junge wartete, bis Bruder Rinaldo seine Eintragung in die Sterntafel beendet hatte, dann wollte er wissen, auf welche Frage es denn keine Antwort gebe. Doch der Bibliothekar blieb stumm in seine Beobachtungen des unendlichen Himmels über ihnen vertieft, als wäre sein Begleiter gar nicht da.
    »Wie lautet denn diese Frage ohne Antwort?«, bohrte Grimpow nach längerem Schweigen nach.
    »Wo ist der Anfang, wie hat alles begonnen? Wenn du nicht an Gott glaubst, wirst du es nie erklären können«, antwortete der Mönch.
    »Wenn man an Gott glaubt, kann man diese Frage auch nicht beantworten, man fügt nur eine weitere hinzu: Wer hat Gott erschaffen? Wenn man dann zugibt, dass die Menschen Gott erschaffen haben, damit sie sich die Welt erklären können, ist und bleibt es widersinnig zu denken, Gott hätte auch die Menschen erschaffen«, brachte Grimpow vor. Er war voller Stolz, ein Streitgespräch über ein derart komplexes Thema führen zu können.
    »Das ist wahr, aber Gott dient meiner Unwissenheit

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