Grimpow Das Geheimnis der Weisen
Kupfer und Eisen.
»Diese vier bleiben von den sieben bekannten Metallen übrig, wenn man die beiden Edelmetalle, Gold und Silber, sowie das einzige flüssige Metall, das Quecksilber, ausschließt.«
Er ließ das Metallpulver in den Glaskolben gleiten. In der Hitze des Feuers im Ofen begannen sie zu schmelzen, bis sie eine glanzlose, schwärzliche Masse ohne metallisches Aussehen bildeten, aus der lediglich einige winzige Eisenkügelchen herausstachen, die einen beißenden Brandgeruch verströmten.
»Sobald wir die Metalle miteinander verschmolzen haben, erhalten wir eine Masse, die die Alchimisten Grundmaterie nennen«, fuhr er fort. »Sie ist schwarz wie die Nacht, aus der der Tag hervorgeht...«
»... oder wie das Dunkel des Himmels, aus dem das Licht entsteht«, warf Grimpow ein. Ihm war der Wortlaut des in Geheimschrift abgefassten versiegelten Briefes wieder eingefallen.
»Richtig! Es freut mich, dass du es verstehst«, sagte der Kräutermönch, ohne zu ahnen, dass Grimpow etwas ganz anderes meinte, und fuhr fort: »Aber jetzt gehen wir einen Schritt weiter und mengen unserer minderwertigen Metallmischung ein wenig schönes Silber bei.«
Bei diesen Worten griff er nach einem anderen Behältnis, holte mit einem kleinen Blechlöffel ein wenig Silberpulver heraus, schüttete es in den Glaskolben und rührte die Masse langsam um.
»Nun warten wir, bis dieser Silbersamen seine Wirkung zeigt und im Bauch unseres Glaskolbens aufgeht wie der Samen einer Rose in der Erde. Wir warten, bis er aufblüht und so das Verborgene sichtbar wird«, erklärte er. »Während wir mit unserer philosophischen Seele über den Samen nachdenken, der das Unbelebte belebt, fügen wir eine Spur dieses seltsamen Metalls hinzu, das alle anderen zu durchdringen vermag...«
»Quecksilber«, sagte Grimpow, denn davon hatte er in einer der Handschriften im Geheimkabinett der Bibliothek gelesen.
Bruder Arben zuckte zusammen, als hätte er eine Gotteslästerung vernommen. »In der Tat, mein Junge«, bestätigte er erstaunt. Er legte sein gutmütiges Possenreißergesicht in Falten, während er die zähflüssige Masse in dem Glaskolben mit Quecksilber übergoss. »Aber wir hätten uns auch mit ein wenig geschmolzenem Zinn und sogar einigen Gramm Arsen behelfen können, um die Mischung aufzuhellen und sie weiß werden zu lassen.«
Grimpow beobachtete, wie sich die schwärzliche, formlose Masse, mit der Bruder Arben das alchimistische Verfahren eingeleitet hatte, vor seinen Augen allmählich in einen ebenso vollkommenen wie schönen Klumpen Silber verwandelte. Die Masse ging langsam auf, so wie Brotteig aufgeht, sobald die Hefe den Gärprozess in Gang setzt.
»Dieses Silber, das trotz seines edlen Aussehens so falsch ist, wie es einst Judas war, könnte sogar den Schatzmeister im Papstpalast von Avignon täuschen«, sagte der Kräutermönch lächelnd und war stolz auf das gelungene Experiment.
Dann holte er den Silberklumpen mit einer langen, schmalen Zange aus dem Glaskolben und ließ ihn in eine Schüssel mit kaltem Wasser gleiten. Eine schwach zischende Dampfwolke stieg auf, die sogleich wieder verpuffte. Bruder Arben wickelte den abgekühlten Klumpen in ein Baumwolltuch und rieb ihn ab, bis er ganz trocken war.
»Jetzt brauchen wir nur noch die glückliche Krönung unserer Großtat zu versuchen«, sprach er weiter, wobei ihm ein ungläubiger Seufzer entfuhr, »indem wir eine Prise Goldsamen hinzufügen und diesen Silberklumpen in den theion hydor oder das Wunderwasser legen, das viele Alchimisten auch göttliches Wasser nennen.«
»Dadurch verwandelt sich das falsche Stück Silber in ein echtes Stück Gold?«, fragte Grimpow. Er konnte einfach nicht glauben, dass Bruder Arben den Stein der Weisen der Alchimisten in seinem Laboratorium herzustellen vermochte.
Der Kräutermönch ließ den falschen Silberklumpen erneut in den Glaskolben gleiten, schmolz ihn wieder ein und fügte eine Prise Goldstaub aus einem Säckchen in einer Tischschublade hinzu. Da er sich seiner Grenzen in der Kunst der Umwandlung bewusst war, gab er zu: »Wenn es mir gelingt, mit der richtigen Dosis das göttliche Wasser herzustellen, bringe ich das Wunder vielleicht zuwege. Bis jetzt ist dabei jedoch nicht mehr herausgekommen als eine gelbliche Tinktur, die nicht einmal beim größten Einfaltspinsel als Gold durchgehen würde. Allerdings muss man auch sagen, dass ich bei meinen Versuchen, das göttliche Wasser mithilfe von anderen Zutaten herzustellen, einen
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