Grimpow Das Geheimnis der Weisen
war klar, dass viele Schelme hungrig durch die Dörfer und über Land strichen und - sich schamlos sämdicher Tricks und Lügen bedienten, um an ein Stück Brot zu kommen. Aber im leeren Blick dieses Einsiedlers meinte er, eine Traurigkeit zu erkennen, die sich über all seine anderen Nöte legte.
»Er hat nicht mit uns geredet«, erklärte er daher.
Salietti sah sich um. »Mit wem denn sonst? Hier ist niemand außer dem Maulesel und den Pferden.«
»Er hat mit den Tempelrittern gesprochen. Vielleicht hat er uns in seinem Wahn mit ihnen verwechselt.«
»Wie kommst du denn darauf?«, fragte der Herzog neugierig.
»Wegen seiner Wortwahl.«
»Ich verstehe nicht, was du meinst. Er hat nichts anderes gesagt als jeder beliebige Prophet des Jüngsten Gerichts.«
»Er hat all das aufgezählt, wessen man die Tempelritter angeklagt hat, um sie als Ketzer zu verurteilen«, widersprach Grimpow, ganz begeistert von diesem Gedanken. »Deshalb hat er uns auch geraten zu fliehen, solange noch Zeit ist«, sagte er und erklärte dem Herzog ausführlich seine Mutmaßungen.
Salietti war verblüfft, dass sein Knappe den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. »Du hast recht, Grimpow, die Templer wurden in der Tat angeklagt, den Teufel anzubeten, sich unter der Erde zu verkriechen wie Würmer, um ihre Rituale abzuhalten, und sich dabei vor den Augen Gottes zu verstecken, der alles sieht. Auch sollen sie Verräter am Glauben gewesen sein, die Sünde der Unzucht begangen haben, indem sie unkeuschen Umgang miteinander pflegten, in der Fastenzeit Fleisch gegessen und so viel Reichtum angehäuft haben, bis sie sich für Götter hielten.«
»Es stimmt auch, dass sie vom Papst und vom König persönlich zermalmt wurden, die ihnen früher so zu Diensten gewesen waren wie ihre Pferde«, fügte Grimpow hinzu, »ohne dass ihre Lanzen und Schwerter ihnen etwas nützten, um sie vor dem Scheiterhaufen zu bewahren.«
Grimpow saß von Astro ab, ließ den Schimmel an der Tränke zurück und ging auf den Greis zu, der nach wie vor mit leerem Blick vor ihnen kniete. Er half ihm auf die Füße und begleitete ihn zurück zu der Steinbank vor der Kapelle. In dem Drosselbeerbaum gleich daneben, der seinen Schatten auf den Boden warf, war lautes Vogelgezwitscher zu hören.
»Wie heißt Ihr?«, fragte Grimpow den alten Einsiedler.
»Was tut mein Name schon zur Sache!«, antwortete dieser unwillig.
Auf dem Weg zur Steinbank war dem Jungen aufgefallen, dass der Einsiedler im Nacken ein achtspitziges Kreuz eintätowiert hatte, wie er es in der Höhle unter der Abtei auf dem weißen Mantel und dem Schwert von Bruder Rinaldo von Metz gesehen hatte.
»Seid Ihr ein Tempelritter?«, fragte er den Mann.
»Gibt es den Templerorden etwa noch?«, fragte der Greis mit leerem Blick zurück.
Grimpow setzte sich neben ihn und betrachtete den Stumpf seiner rechten Hand, wo die Haut schrumpelig und verfault war. »Wie habt Ihr Eure Hand verloren?«, fragte er weiter.
»Sie haben sie mir abgehackt, damit ich nie wieder mit einem Schwert kämpfen kann«, antwortete der Greis.
Nun kam auch Salietti leise näher und blieb mit dem Rücken zur Sonne, die im Westen bereits zu sinken begann, vor ihnen stehen. Grimpow bedeutete ihm, die Unterhaltung nicht zu unterbrechen. Er nickte.
»Wer sind >sie«, fragte der Knappe weiter.
»Die Schergen des französischen Königs«, antwortete der Greis.
»Haben sie Euch gefoltert?«
Der alte Einsiedler nickte gedemütigt. »Wir hatten keine Gelegenheit, uns zu verteidigen. Sie drangen im Morgengrauen in den Turm unseres Pariser Gebiets ein wie Füchse in einen Hühnerstall, nahmen uns alle gefangen und stürzten sich auf unsere Papiere und Schätze. Nichts ist mehr übrig als die verkohlten Leichen Hunderter auf dem Scheiterhaufen verbrannter Templer, die nicht einmal in geweihter Erde begraben wurden, wie es ihr Wunsch gewesen wäre.«
Von seinen traurigen Erinnerungen überwältigt, führte der alte Einsiedler ein Selbstgespräch. Grimpow ließ ihn einfach gewähren. »Mich haben sie von den anderen getrennt und in einen überfluteten Kerker voller Ratten geworfen, wo ich jahrelang ohne Licht eingesperrt war und der entsetzlichsten Folter unterzogen wurde. Sie behaupteten, ich hätte sie dazu genötigt, mir mein Wissen mit den Zangen der Inquisition zu entreißen.«
»Wie konntet Ihr aus Eurem Gefängnis entkommen?«
»Sie dachten, ich wäre wahnsinnig geworden und niemand würde mir glauben. Burumar de Gostelle, der ja
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