Grimwood, Ken - Replay
empfunden hatte, hatte der Derbygewinn weitgehend zerstreut. Er hatte sie seit diesem Abend nicht mehr gesehen, außer im Vorbeigehen auf dem Campus. Und er hatte aufgehört, über mögliche Erklärungen für seine mißliche Lage nachzugrübeln, abgesehen von den Malen, wo er in der Dämmerung aufgewacht war und sein Verstand nach Antworten verlangt hatte, die es nicht gab. Wie auch immer die Wahrheit aussehen mochte, er hatte jetzt wenigstens den Beweis, daß seine Kenntnis der Zukunft mehr war als bloße Einbildung.
Bis jetzt hatte Jeff es verstanden, Franks Fragen danach, was ihn zu einem so spektakulären Gewinn geführt hatte, auszuweichen. Maddock nahm jetzt an, daß Jeff ein Naturtalent im Betrügen war, mit irgend einer geheimen Methode. Jeffs Weigerung, auf dem Preakness-Rennen zwei Wochen nach dem Derby eine Folgewette zu machen, hatte diese Vorstellung noch bestärkt. Er war sicher, daß Chateaugay zwei von drei Rennen des diesjährigen Triple Crown gewinnen würde, aber er konnte sich nicht erinnern, welches der Folgederbys das Pferd verloren hatte; deshalb hatte Jeff trotz Franks Protesten darauf bestanden, Preakness auszulassen. Candy Spots hatte das Rennen mit dreieinhalb Längen Vorsprung gewonnen. Jetzt war sich Jeff nicht nur des Sieges beim kommenden Belmont Stakes-Rennen sicher, sondern die Wiederauferstehung von Candy Spots hatte auch die Quoten für Chateaugay wieder nach oben getrieben.
Das Wetten hatte Jeff neue Entschlußkraft gegeben, ihn von dem Morast der Metaphysik und Philosophie abgelenkt, in dem die Antworten auf seine Lage begraben lagen. Wenn er nicht bereits wahnsinnig war, hätte ihn ein weiterer Monat des Brütens über diesen Unwägbarkeiten mit Sicherheit an diesen Punkt gebracht. Das Glücksspiel war so klar umrissen, so wohltuend unkompliziert: Sieg oder Niederlage, Verlust oder Gewinn, richtig oder falsch. Keine Mehrdeutigkeiten, keine Hintergedanken; besonders dann nicht, wenn man den Ausgang im voraus kannte.
Frank hatte die verstreuten Karten aufgesammelt, packte und mischte sie. »Hey«, sagte er, »laß es uns mit einem doppelten Satz versuchen!«
»Klar, warum nicht?« Jeff setzte sich rittlings auf einen Stuhl neben dem Bett. Er nahm die Karten, mischte sie erneut, begann sie auszuteilen.
»Plus eins, plus eins, null, plus eins, null, minus eins, minus zwei, minus zwei, minus drei, minus zwei…«
Jeff lauschte zufrieden der vertrauten Litanei, der fortlaufenden Zählung der Asse und Zehnen, die ausgegeben wurden. Frank hatte begeistert Diagramme und Tabellen aus einem neuen Buch mit dem Titel Schlagen Sie den Bankhalter auswendig gelernt, eine Computeruntersuchung der Setz-Strategien beim Black Jack. Von seiner eigenen Lektüre her wußte Jeff, wie gut die Kartenzählmethode tatsächlich funktionierte. Mitte der Siebziger Jahre hatten die Casinos damit begonnen, jeden auszusperren, der diese Techniken benutzte. In dieser Epoche jedoch hatten die Geber und Spielmacher alle Arten von Systemspielern willkommen geheißen, sie als leichte Beute betrachtet. Frank sollte nur mal machen, wenigstens eine Zeitlang im Mittelpunkt stehen; und wenn er vom Kitzel seiner eigenen Triumphe an den Black-Jack-Tischen gefangen war, mochte dies seine Aufmerksamkeit etwas von dem spektakuläreren Gewinn ablenken, den Jeff in Belmont zu erzielen hoffte.
»…minus eins, null, plus eins – stopp! Verdeckte Karte ist eine Zehn.«
Jeff zeigte ihm den Kreuzbuben, und sie warfen eine Fünf ab. Frank leerte sein Bier, stellte die Flasche auf den Nachttisch neben einem halben Dutzend anderer leerer Flaschen. »Hey«, sagte er. »An einem dieser Drive-ins, an denen wir auf dem Weg in die Stadt vorbeigekommen sind, lief Dr. No; Lust hinzufahren?«
»Mein Gott, Frank, wie oft hast du diesen Film schon gesehen?« »Drei oder viermal. Er wird mit jedem Mal besser.«
»Es reicht inzwischen; von James Bond hab ich ‘ne Überdosis verpaßt bekommen.«
Frank sah ihn merkwürdig an. »Du hast was?«
»Vergiß es. Mir ist einfach nicht danach; nimm den Wagen, die Schlüssel liegen auf dem Fernseher.«
»Was ist los, trauerst du um den Papst? Ich wußte nicht mal, daß du katholisch bist.«
Jeff lachte, griff nach seinen Schuhen. »Ach, was soll’s, also gut. Wenigstens ist es nicht Roger Moore.«
»Wer, zum Teufel, ist Roger Moore?« »Eines Tages wird er ein Heiliger sein.«
Frank schüttelte den Kopf und runzelte die Stirn. »Redest du vom sterbenden Papst oder von James Bond, oder was?
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