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Grimwood, Ken - Replay

Grimwood, Ken - Replay

Titel: Grimwood, Ken - Replay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Das zweite Spiel
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Mireilles Gesichtsausdruck war unmöglich zu deuten. Glaubte sie, er wäre verrückt oder erzählte einen Opiumtraum nach? Ihr Schweigen begann die kathartische Erleichterung auszuhöhlen, die er beim Erzählen empfunden hatte. »Mireille? Ich wollte dich nicht schockieren; ich…« Sie kniete sich hin, legte ihre dünnen Arme um seinen Hals. Die festen Locken ihres kupferfarbenen Haars drückten sanft gegen seine Wange. »Viele Leben«, flüsterte sie. »Viele Schmerzen.« Er hielt ihren schlanken, jungen Körper fest umarmt, atmete die frische, nach Pinien duftende Luft in tiefen, langen Zügen. Vereinzeltes Gelächter wehte durch die Bäume zu ihnen herüber, und dann die klaren, süßen, lebhaften Klänge der neuesten Aufnahme von Sylvie Vartan.
    »Viens«, sagte Mireille, stand auf und nahm Jeff bei der Hand. »Laß uns zu der Party gehen. La vie nous attend.«

    Im August, als es wieder zu regnen begann, fuhren sie alle nach Paris zurück. Mireille erwähnte Jeff gegenüber nie wieder etwas von dem, was er ihr an jenem Abend in dem Garten in St. Tropez erzählt hatte; sie mußte es alles dem Hasch zugeschrieben haben, und das war auch gut so. Ebensowenig sprachen Jeff und Sharla offen über Gruppensex und die Drogen, die inzwischen Teil ihres Alltags waren. Diese Dinge waren passiert, sie passierten auch weiterhin. Es gab keinen Grund, über sie zu sprechen, solange jeder seinen Spaß dabei hatte.
    Eins der neuen Paare, das sich regelmäßig in der Szene zeigte, führte sie bei einer partouze in der Rue de Chatelier ein, ein paar Blocks nördlich dessen, was bis zu de Gaulles Tod im Jahre 1970 Place de L’Étoile genannt werden würde. Die partouze, eine von mehreren, die seit den Zwanzigern in der Stadt gediehen, war ein gut geführtes, luxuriös eingerichtetes Etablissement: eine in Glaskästen eingeschlossene Sammlung alter Puppen im Salon, dicke, kastanienbraune Teppiche, die zu den mit Fin-de-siècle-Drucken behängten Wänden paßten… und drei uniformierte Maiden, welche die dreißig oder vierzig nackten Paare bedienten, die in beiden Stockwerken voller gut ausgestatteter, sehr großer Schlafzimmer umherwanderten und -tollten.
    Die St. Tropez-Clique begann die partouze jedes Wochenende zu besuchen. Eines Nachts arrangierten Jeff und Sharla einen Dreier mit einem übermütigen amerikanischen Starlet, das neu in Paris war und bald mehr für ihren radikalen Feminismus als für ihre Schauspielkunst bekannt sein würde; an einem anderen Abend veranstalteten Mireille, Sharla und Chicca einen improvisierten Wettstreit, um herauszufinden, wer von ihnen es als erste schaffte, mit zwanzig Männern auf einer Party zu ficken. Sharla gewann.
    Jeff war verblüfft, wie rasch dieser unaufhörliche Ringelreihen von öffentlichem Gelegenheitssex mit schönen Fremden zu einer vollkommen normalen Sache geworden war; die Tatsache, daß derlei Aktivitäten ohne die geringste Angst vor den Seuchen seiner Zeit, wie Herpes oder Aids, vonstatten gehen konnten, beeindruckte ihn. Dieses unbeschwerte Gefühl von Sicherheit vermittelte den dekadenten Vorgängen im Nachhinein einen Hauch von Unschuld – nackte spielende Kinder im Paradies vor dem Sündenfall. Er fragte sich, was aus den partouzes und ihren Gegenstücken in Amerika und dem restlichen Europa in den Achtzigern geworden war. Wenn sie überhaupt überlebt hatten, mußten sie angefüllt sein mit krankheitsausgelöster Paranoia und Schuldgefühlen.
    Die Achtziger: ein Jahrzehnt des Verlustes, der gescheiterten Hoffnungen, des Todes. All das würde wiederkehren, und zwar schon allzu bald.

9
    Sie waren noch keinen ganzen Monat in London, als er das Mädchen kennenlernte, das ihm LSD anbot; genauer gesagt, als er es beim Herauskommen aus der Chelsea-Apotheke kennenlernte. Darüber amüsierten sie sich köstlich, als er sich bei einem Campari Soda an sie heranmachte. Jeff sagte, er wäre hinuntergegangen, um sein Rezept einzulösen, und hätte genau das bekommen, was er gewollt hatte. Sie hielt das für einen Scherz, denn natürlich bekam sie die Anspielung nicht mit; die Stones würden das Stück erst in einem Jahr aufnehmen.
    Sie hieß Sylvia, vertraute sie ihm an, doch alle würden sie Sylla nennen, »wie die Sängerin Cilla Black, weiß‘te?« Ihre Eltern lebten in Brighton (sie verzog das Gesicht), doch sie teilte sich zusammen mit zwei anderen Mädchen eine Wohnung in South Kensington und hatte einen Job bei Granny Takes a Trip, wo sie alle ihre Kleider zum halben

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