Grippe
sie die Augen auf und schaute sich um. In einem Ohr klingelte es, mit dem anderen vernahm sie die Stimmen – die gutturalen. Die Toten waren jetzt definitiv überall. Sie raffte sich auf und zog den schmerzenden, blutenden Fuß hoch, weil sie nicht auftreten konnte. Als sie zu gehen versuchte, hüpfte sie bloß. Ihr war schwindlig, und dass sie ihr Gleichgewicht hielt, wunderte sie.
Der Maskierte war ausgestiegen und machte sich gerade an der Tür eines Hauses zu schaffen. Sie humpelte in seine Richtung und schimpfte, er solle auf sie warten. Andererseits verstand sie, weshalb er sie verachtete: Nur eine Irre krallte sich so an ein Auto, eine bekloppte, dämliche Nervensäge. Sie fing an, sich über sich selbst aufzuregen.
Schließlich gelang es ihm, die Tür aufzusperren. Bevor er eintrat, sah er sich links und rechts um. Gerade als Geri das Haus erreichte, schloss er die Tür wieder und drehte den Schlüssel innen um. Sie hämmerte mit zerkratzten, blutigen Händen gegen das Holz und schrie, was ihre Stimme hergab. Da waren sie wieder, die anderen Stimmen. Angelockt von dem Aufruhr stapften die Leichen auf sie zu. Panik nahm Geris Körper in Beschlag. Ihr Blick fiel auf das Fenster an der Front, das mit einem Metallgitter abgesichert war, also blieb sie an der Tür und schlug weiter dagegen, kreischte wie die wahnsinnige Zicke, die sie wohl in der Tat geworden war.
Gleich hatte ihre letzte Stunde geschlagen, aber umdrehen wollte sie sich nicht. Sie spürte ohnehin ihre Präsenz und roch sie. Ja, fast schmecken konnte sie den durchdringenden, ätzenden Gestank auf der Zunge Das war ’ s dann wohl, dachte sie bei sich. Kannst abdanken, Geri-Baby. Kuss und tschüss, wie ihre Mom zu sagen pflegte. Ruhe in Frieden, blödes Miststück.
Geri kniff die Augen fest zusammen und bereitete sich auf die unvermeidliche Umarmung des nach Schweiß miefenden Seuchentodes vor. Hoffentlich ging es schnell und schmerzfrei vonstatten. Nein, sie wusste, dass Hoffnung allein nichts nutzte. Nicht mehr. Nicht wenn sich das Schicksal so entschieden gegen sie richtete.
Dann aber, als alles verloren schien, ging die Tür wieder auf. Eine Hand packte sie und zog sie grob hinein.
2
Der Mann trug sie durch den engen Flur. Nach wie vor machte er große Augen und hielt sie mit der Waffe in Schach. Er sprach nicht, drehte dafür jedoch bewusst den Kopf, vor allem aber den Mund weg. Erst zog er, dann schubste er sie vor sich her. Ihr wunder Fuß glitt über den rauen Teppich, sodass Geri wieder die Tränen kamen, und sie hasste es, sich vor diesem Drecksack solche Blöße zu geben. Sie erreichten eine kleine Abstellkammer unter der Treppe. Er öffnete die getäfelte Tür und stieß sie grob zu Putzzeug und Staubsauger, dass sie mit der Schulter gegen die Wand stieß und einige der Haushaltsutensilien umwarf. Kaum dass sie durchgeatmet hatte, war die Tür wieder zu, und sie steckte im Dunkeln fest. Ein Schlüssel drehte sich, der Riegel rastete ein.
»Du mieser Bastard!«, rief sie und bearbeitete die Tür mit der Faust.
Dann schien etwas zu passieren. Der Kerl fluchte laut, schließlich waren Schritte auf der Treppe zu hören und eine weitere Stimme. Sie klang aufgebracht; jemand stellte ihn zur Rede. Der folgenden Diskussion entnahm sie nur wenige Worte: › Grippe‹, › Mädchen‹ und besonders beunruhigend: › Tot ‹.
Geri suchte in dem dunklen, modrigen Verschlag nach etwas, mit dem sie sich wehren konnte. Endlich hatte sie einen Besenstiel in der Hand. Sie hielt ihn wie ein Gladiator und stemmte sich damit gegen die Tür. Einen Pistolenschuss konnte sie damit wohl nicht abwehren, aber den Ersten, der aufmachte, würde sie aufspießen und dann Fersengeld geben …
Wohin?
Die Aussichten entmutigten sie. Wieder nach draußen? Auf die zunehmend gefährliche Straße, die über und über von Kranken, Sterbenden und Toten bevölkert war und …
Sie erinnerte sich an die Zeit vor ein paar Wochen, als sie noch zu viert gewesen waren. Keinen der anderen hatte sie vor dem Ausbruch der Grippe gekannt. Nacheinander waren die Symptome bei ihnen aufgetaucht. Genauso wie alle anderen bekamen sie Schnupfen und Husten. Fieber. Brechdurchfall. Dann der Schleim – oh Gott, der war am schlimmsten – und letztlich das Blut. Vermischt mit Speichel und Exkrementen blubberte es aus allen Öffnungen, laugte den Organismus von innen aus. Sie erstickten und zerflossen regelrecht. Es raubte ihnen den Atem, den Puls, das Leben.
Doch das war nicht
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