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Grippe

Grippe

Titel: Grippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wayne Simmons.original
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hatten. Während alles andere vor die Hunde gegangen war, hatte der Lift tapfer gehalten und auf jeden Ruf wie ein treuer Hund reagiert – Metall auf Metall, Zahnräder und Kabel im scheuernden Zusammenspiel wie Liebespaare wider Willen. Das Motorengeräusch war markant gewesen und hatte Karen in einer Welt, in der Geräusche an sich so selten geworden waren wie das Leben selbst, Trost gespendet.
    »Hast du, was du wolltest?«, fragte sie neugierig, weil sie wissen wollte, was in dem Koffer steckte. Auf einmal wurde ihr bewusst, wie sie sich in ihrer Ausdrucksweise an Pat orientierte, um möglichst ernsthaft und erwachsen zu klingen. Freundinnen gegenüber hätte sie sich nicht so benommen, aber andererseits: Wäre sie vormals überhaupt auf einen Mann wie Pat eingegangen? Sie hätte ihn ehrlich gesagt für einen Langweiler gehalten, und ein bisschen flapsig obendrein.
    »So ziemlich«, erwiderte er kurz angebunden, wie sie es erwartet hatte. Er streckte sich und schürzte die Lippen, als bereite es ihm große Anstrengung. Dann bückte er sich seufzend und zog den Reißverschluss unter dem Schnappschloss des Koffers auf. Lärm von draußen ließ ihn plötzlich hellhörig werden. Er schaute Karen an und kniff die Augen zusammen. »Sind heute mehr. Hörst du? War schwieriger beim Fahren.«
    Auch Karen strengte die Ohren an, um das abstoßend gedehnte Rumoren der Toten zu hören. Die laue Sommerluft trug ein leises, basslastiges Grollen an ihren Aussichtspunkt heran. Es rührte untenher von den Straßen und Kleingärten, sowie aus anderen Wohnungen in ihrem Block. Einige der Leichen waren in ihren Apartments eingeschlossen, ein verzweifelter Versuch im Verfall begriffener Autoritäten, die Kranken bis zum Ende unter Quarantäne zu halten. Nicht dass es etwas gebracht hätte, denn die Isolierten starben und standen wieder auf – wie alle anderen. Der einzige Unterschied bestand eben darin, dass sie ihren Grabkammern nicht entkommen konnten.
    »Oh Gott«, flüsterte sie und schauderte im Gedanken an noch mehr von ihnen. Seitdem es begonnen hatte, waren ihr genug dieser armen Seelen über den Weg gelaufen.
    Karen kam in einer nahe gelegenen Kirche unter, wo sich auch viele andere eingefunden hatten. Nachdem die Staatsmacht versagte, wollten sie sich einer göttlichen Macht hingeben. Dutzendweise ließen sich die Leute bekehren. Überforderte Priester verlasen eilig die Schrift, ratterten ihre Gebete runter und nickten unkritisch Seelenheil ab, als gäbe es eine Provision für jedes Schäflein. Männervolk – Karen fragte sich oft, warum die Frommen nicht normal miteinander redeten – stand an den Eingängen Wache und wies jeden brüsk ab, als kein Platz mehr unter der Kuppel war. Wenn dann die Toten kamen, zog man sich zurück, verschloss die Tore und Fenster, die vorausschauend unter sicherheitstechnischen Gesichtspunkten massiv vergittert worden waren. Das Weibervolk pflegte die Verwundeten und Siechenden, tupfte Stirnen trocken, reichte Mahlzeiten und Tee beziehungsweise kümmerte sich um die Bedürfnisse der Männer. Karen packte nicht mit an, beteiligte sich in keiner Weise. Fernab vom Chaos im Hauptschiff des Gotteshauses fand sie einen ruhigen Rückzugsort. In jenem vergessenen Lagerraum standen nur einzelne, staubige Flaschen Cola, die von einer zwei Jahre zurückliegenden Weihnachtsfeier der Sonntagsschule übrig geblieben waren. Dort versteckte sie sich vor den allzu Verstörten und Sterbenden. Als die unvermeidbaren Schreie losbrachen, da sich die Seuche ausbreitete und Leichen nicht ruhen wollten, stellte sie sich taub, trank abgelaufene Cola und wartete, bis es ruhiger und die Hektik vorüber war. Dann stahl sie sich davon – erschöpft, hungrig und ängstlich – wie eine Diebin bei Nacht.
    Nun trat sie vom Fenster zurück in die Mitte des Zimmers zu Pat. Er hatte den Koffer endlich aufgeklappt. Darin steckten verschiedene Konserven, Wasserflaschen, eine Chemietoilette sowie ein Campingkocher. Unter alledem, als hätte man sie noch vor den längst nicht mehr wachen Augen der Zollbehörden verstecken müssen, lagen stolz mehrere Gewehre und zwei Pistolen.
    »So viel zur Abrüstung«, bemerkte Pat verhalten humorvoll.
    Karen lächelte befangen. Sie war nicht sonderlich weltgewandt, hatte aber in den News davon erfahren: Was er Abrüstung nannte, betraf den kürzlich erwogenen Schritt paramilitärischer Verbände in Nordirland, ihr Arsenal aufzugeben. Der Verdacht, man habe nur einen Teilbestand

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