Grippe
gesprochen hatte, bei seiner Rückkehr kein Mensch mehr sein würde, genaugenommen ein Toter beziehungsweise etwas, das zu leben nur vorgab, und zwar mehr schlecht als recht. Gallagher zeigte ihm das Zimmer, in dem er Quartier beziehen sollte. Es war relativ schlicht mit nur dem Notwendigsten ausgestattet, was man brauchte: Bett, Schreibtisch und Waschbecken. An der Wand hing noch eine einzelne Malerei, Motiv Sonnenaufgang. Sie erinnerte Jackson an die eine Sache, derer er sich noch sicher sein durfte: Die Sonne würde weiterhin jeden Tag aufgehen, die Erde ununterbrochen kreisen. Allein dies war in Stein gemeißelt.
»Gut, endlich wach …«
Geri rieb sich die Augen. Sie war noch zu verschlafen und nahm deshalb nicht wahr, dass sie locker angebunden ausgestreckt auf einem Stuhl saß. Der Tätowierte war es, der sie angesprochen hatte.
» Ach, das Bisschen Seil haben wir dir nur angelegt, damit du nicht vom Sitz plumpst«, erklärte er grinsend, als hätte er einen Bombenwitz gerissen. Er stand hinter einer Glastür. Geri war schon wieder bei Bewusstsein gewesen, als die zwei sie gefesselt hatten. Dann musste sie wohl eingenickt sein, während sie weiterhin die Ohnmächtige gespielt hatte. Echt typisch, hielt sie sich vor. Über ihren Schlaf ließ sie eben nichts kommen, obwohl sie in der vergangenen Woche nicht viel bekommen hatte.
Geri ließ halbwach den Blick durch den Raum schweifen. Anscheinend saß sie auf einer verglasten Terrasse hinterm Haus, die man erst kürzlich angebaut hatte. Unter Besitzern solcher Reihenhäuser war das ein recht beliebtes Mittel, um den Wohnraum ein wenig nach hinten auszuweiten, zumal die Gärten meistens recht großflächig waren. Augenscheinlich war es das Werk eines leidenschaftlichen Heimwerkers, der mittlerweile nicht mehr lebte … oder wieder.
»War nicht meine Idee«, fuhr der Tätowierte fort, indem er die Hand gegen die Scheibe presste. »McFall glaubt eben, du hättest dir was eingefangen. Nenn ’ s Quarantäne.«
»Ich muss pissen«, bemerkte Geri ordinär.
» Dann piss«, blaffte er. Sie hatte gehört, dass der andere ihn Lark nannte. Ein seltsamer Name, wie sie fand. Ein seltsamer Name für einen seltsam aussehenden Kerl. »Du bist nicht wirklich fest angebunden, denk dran. Kannst den Zwirn schnell abschütteln.«
Er gaffte sie beinahe liederlich an, als wolle er unbedingt sehen, wie sie es versuchte, aber Geri bewegte sich nicht.
Lark plapperte in einem fort, was zu einem Flegel wie ihm passte. »Auf dem Schrank steht bestimmt ein Topf, oder versuch ’ s mit dem Waschbecken; der Abfluss flutscht noch ziemlich gut, glaub ich.« Sein Lächeln, während er auf die kleine Spüle und die Regale neben der Waschmaschine zeigte, zeugte entweder von bemühter Höflichkeit oder Ironie. Geri war sich nicht sicher.
»Fick dich«, antwortete sie schließlich, da sie sich für Letzteres entschieden hatte; also brauchte auch sie nicht höflich zu sein.
»Hör zu, mir tut das voll leid«, behauptete er, »aber wir müssen sichergehen, dass du sauber bist. McFall meint, du hättest geniest.«
»Heuschnupfen. Das hab ich ihm schon erklärt.«
»Klar, und wenn es sich in den nächsten Tagen nicht zur Grippe auswächst, lassen wir dich wieder rein.«
»Ich will nur weg von hier …«
»Zurück nach draußen? Bist du irre? Echt jetzt, hier bist du besser aufgehoben, aber pass bloß auf: Einer von uns wird dich immer im Auge behalten, also stell keinen Scheiß an.«
Als Geri aufstand, bekam sie einen Krampf im Bein. Sie rieb sich die Muskeln, um sich zu lockern. Ihr wunder Fuß tat höllisch weh, weshalb sie immer noch humpelte. Mit schmerzverzerrter Fratze hockte sie sich wieder hin. Sie schaute zur Tür, doch Lark war anscheinend durch die Küche verschwunden. Soviel also zur strengen Bewachung.
Sie fuhr mit der Hand über die Tasche vorne an ihrer Jeans, suchte die Beule im Stoff – die Kugel, die sie in dem Kabuff aufgelesen hatte. Dann zog sie ihr T-Shirt wieder lang und grinste verschmitzt: Kaum zu glauben, aber diese Deppen hatten sie ihr nicht weggenommen.
Wieder erhob sie sich, um vor die breiten Glasfenster der Terrasse zu staksen. Von dort aus sah man ein Gärtchen, das dereinst jemandes ganzer Stolz gewesen sein mochte: Blumen in allen Farben, marmorierte Kiesel und ein verschnörkelter Brunnen – Landschaftsgestaltung vom Feinsten. Ohne Pflege jedoch verwilderte die Fläche allmählich. Trist dunkelgrünes Unkraut überwucherte die Tulpenpracht, und
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