Grippe
begonnen, um schon bald während des Golfkriegs auf sich aufmerksam zu machen, weil er sich für recht exzentrische Verhörmethoden begeisterte, gleichfalls spezielle Möglichkeiten der Misshandlung, die ungeachtet ihrer Schwere keine Spuren am Körper der Befragten hinterließen. So machte sich Dr. Gallaghers medizinische Ausbildung radikal bezahlt, und er wurde zu einem unverzichtbaren Mann für die Armee. Schließlich hatte man ihn nach Nordirland versetzt, um am selben Projekt zu arbeiten wie Jackson, einer Geheimoperation unter dem schlichten Decknamen: Kammer. Gallagher war schon damals einer der ausgekochtesten Teufelskerle gewesen, die der Major je gesehen hatte. Nach der Schmach der britischen Internment-Politik wollte man Ergebnisse sehen, natürlich unter Wahrung der Diskretion. Der Doktor sollte brutal vorgehen, aber dennoch mit Fingerspitzengefühl, und zwar ohne Ausnahme. Ersteres war er zweifellos, doch darüber hinaus kannte Jackson kaum einen höflicheren Menschen als ihn, ruchloses »Handwerk« hin oder her. Jetzt fragte er sich, ob der Arzt im Laufe der Jahre vielleicht milder geworden war, da sich sein Interesse von Verhören hin zu weniger aggressiven Pflichten verschoben hatte. Ansehnlich war er in jedem Fall immer noch, wie Jackson feststellte – groß, schlank und offengestanden gruselig.
Er begleitete ihn durch einen Korridor, der genauso heruntergekommen und durcheinander war wie der Raum, den sie gerade verlassen hatten. Die Kammer widmete sich eindeutig nur noch sporadischen Aufgaben, denn die Ohnmacht und Depression am Gipfel des Desasters hatte die Männer und Frauen hier genauso in Beschlag genommen wie den Stab von Aldergrove. Gut möglich, dass die Überlebenden hier die fortschreitende Krankheit des Colonels als ihr endgültiges Todesurteil interpretierten. Es mochte sie brüsk darauf gestoßen haben, dass auch sie nicht unverwundbar waren, selbst auf einem Stützpunkt, der bekannt war für besonders stringente Etikette und aufwändige Sicherheitsmaßnahmen.
Zuletzt erreichten sie eine verschlossene Tür. Gallagher öffnete mit einem Schlüssel aus seiner Tasche und drückte sachte auf, wie um niemanden dahinter zu stören. Er ließ Jackson vorangehen und schloss genauso sorgfältig hinter sich ab, wie er aufgesperrt hatte. Indem er sich umschaute, erkannte Jackson den Raum von früher wieder. Es handelte sich um das Beobachtungszimmer für die insgesamt drei Befragungskammern. So waren die Wände links, rechts und gegenüber verglast, damit die Anwesenden jedes Verhör mitverfolgen konnten. Jackson richtete den Blick indes geradeaus, wo hinter dem Fenster ein offensichtlich schwerkranker Mann an einem Tisch saß, hoheitsvoll nichtsdestoweniger.
»Ich nehme an, ich muss Ihnen nicht erklären, wie die Unterhaltung durch die Wand abläuft, Sir«, bemerkte Gallagher trocken. Jackson trat vors Mikrofon an einer Schalttafel. Kein Bisschen hatte sich verändert, seit er zum letzten Mal hier gewesen war. Die Armatur bestand neben dem Mikro nur noch aus einem großen, roten Knopf sowie einem Rädchen zur Einstellung der Lautsärke. Der Sessel daneben, ebenfalls ein Relikt aus alten Zeiten, lockte Jackson. Er ließ sich mit Blick auf die Scheibe, die von der Gegenseite nicht einsehbar war, wie er natürlich wusste, nieder. Demnach sah der Colonel im Glas nichts als sein eigenes Spiegelbild. Sein kalter, verhärmter Blick schien den Major dennoch zu durchbohren, als trotze er der Wand irgendwie oder habe er im Siechtum außergewöhnliche Sehkräfte entwickelt – einen sechsten Sinn, dem nichts und niemand verborgen blieb.
Jackson wandte sich Gallagher zu, der aufrecht wie auf dem Exerzierplatz an der Tür stand. »Er hat sich bereits … verwandelt?«, fragte er ihn, ohne den Knopf zu drücken.
»Noch nicht, Sir«, erwiderte Gallagher. »Er befindet sich in einem der Endstadien, kann aber noch sprechen. Ich habe mich eben noch mit ihm unterhalten, bevor wir nach oben gerufen wurden, als Sie ankamen.« Dann zeigte er auf das Mikrofon, wie um Jackson daran zu erinnern, dass er es benutzen durfte. »Sir, wenn ich bitten darf …«, forderte er freundlich wie immer.
Jackson drehte sich wieder zum Colonel um, dessen Augen ihn anzogen. Seit sie hereingekommen waren, hatte er ihn kein einziges Mal blinzeln sehen. Er hielt ein zerfasertes, blutiges Handtuch fest, das nun ausgedient hatte, da die Grippe das sprichwörtlich Letzte herausholte: Roter Schleim rannte ungehindert aus Mund wie Nase,
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