Grippe
denn die Grippe hatte ihn verschont. Davon abgesehen war er sowieso nie krankheitsanfällig gewesen, denn dazu hatte er schlichtweg keine Zeit. Vielleicht hing es mit den vielen Menschen in seiner Nähe zusammen, Hunderten jede Woche in seinem Taxi. Sie stammten aus jeder Bevölkerungsschicht. Manche hatten gehustet oder schwer geatmet, beziehungsweise die Nase hochgezogen aufgrund von Erkältungen oder grippaler Infekte – alles Mögliche halt. Schüler hatte er befördert und Leute ins Krankenhaus, stets ohne auch nur zu schniefen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte er Antikörper gegen alle Krankheiten gebildet, die man sich in Belfast einhandeln konnte, darunter eben auch die kürzlich ausgebrochene, neuartige Grippe.
Dennoch wollte er kein Risiko eingehen.
Er zog die Haube aus, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. Dann langte er in seine Tasche nach dem Fläschchen Kräutertropfen, das er immer bei sich trug. Seine Frau hatte ihm die Arznei ans Herz gelegt, als feststand, dass er den Job bekommen würde, und behauptet, sie bewahre ihn vor Erkältung und Grippe. Zwar schmeckte das Zeug ätzend, doch er träufelte jeden Morgen etwas in seinen Orangensaft und stürzte diesen schnell hinunter. Auch jetzt schraubte er den Deckel mit der Pipette ab. Dann drückte er drei Tröpfchen auf Mund- und Nasenpartie seiner Haube. Es entspannte, roch nach Minze, die wohl auch zu den Inhaltsstoffen gehörte. Was außerdem drinsteckte, wusste er nicht. Seine Frau hatte, weil ihr das Leben zunehmend langweilig geworden war, eine Menge Nonsensliteratur und -zeitschriften gelesen, und nur Gott kannte wohl die Zusammensetzung ihrer Brühe. McFall schloss das Fläschchen und steckte es ein; die ansonsten ziemlich muffige Wolle stülpte er sich wieder über.
Ein Geräusch draußen erschreckte ihn, sodass er sich neben dem Fenster duckte. Vorsichtig spähte er durch die Schlafzimmergardinen und erkannte zwei Männer vor dem Haus, die sich an der Tür des Autos zu schaffen machten, das er dort abgestellt hatte – das mit den Lebensmitteln hinten drin, an dem sich das Girl zuvor festgeklammert hatte. Einer der Männer hatte eine kleine Pistole und zielte nervös auf eine Handvoll Toter, die sich langsam die Straße herauf auf sie zubewegten. McFall änderte seinen Blickwinkel, achtete aber penibel darauf, sich nicht hinterm Vorhang blickenzulassen. Am anderen Ende der Straße machte er das torkelnde Grüppchen aus, das ihm vorhin bereits aufgefallen war. Nun folgten sie dem Lärm und kehrten zurück, als hätten sie Angst, eine Riesenshow zu verpassen. Die beiden Männer saßen offensichtlich in der Falle.
McFall registrierte, wie sie weiter an der Fahrertür rüttelten. Dann gaben sie auf und sprangen, da sich die Toten weiter näherten, gemeinsam auf das Dach des Wagens. Der Bewaffnete gab ein paar Schüsse ab, zielte allerdings sehr schlecht, weshalb mehrere Patronen weit am Ziel vorbeigingen. Endlich hatte er Glück und traf die Brust einer toten Frau, die fast im selben Moment schon am Boden lag. Überraschenderweise – sowohl für die Männer als auch McFall – war sie genauso fix wieder auf den Beinen.
Binnen Kurzem hatten sie das Auto umzingelt und grapschten nach den Füßen der zwei. Sie traten und schlugen panisch um sich. Die Schüsse, die der eine noch abfeuerte, richteten wenig aus. Wen er traf, glotzte der eine Weile dumm drein, ehe er sich wieder seinen Opfern widmete.
Einen erwischten sie kalt, als er auf dem Dach umfiel, da einer aus der Rotte ihm die Beine weggezogen hatte. McFall sah mit an, wie sie den armen Kerl zu sich herunter und dann auf die Straße zerrten. Sie umringten und stürzten sich sofort hungrig auf ihn, während der andere schoss und den Namen seines Begleiters schrie – beides vergeblich. In einem letzten Akt der Verzweiflung schließlich sprang er von der Karre und versuchte, seinen Freund vor ihren gierigen Klauen zu retten, indem er ihn am Arm zog, doch schon hatten sie auch ihn gepackt und zu Boden gezwungen. Wie Hyänen fielen sie über die beiden her.
Was dann allerdings geschah, war auch McFall neu, und trotz des frischen Duftes seiner Kopfbedeckung hätte er sich ob dieses Anblicks am liebsten übergeben. Sicher, aggressiv waren diese Monster immer, und er hatte bereits gesehen, wie sie Lebende mit ihren kräftigen, leichenstarren Händen auseinandergerissen oder wie Hunde nach ihnen geschnappt hatten. Raubtieren gleich griffen sie ihre Opfer mit vollem Körpereinsatz
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