Grippe
auch nutzlosesten Menschen abgeschrieben, dem er je begegnet war.
McFall bewegte sich nicht, als beeindrucke ihn die auf ihn gerichtete Waffe keinen Deut.
»Ist nicht geladen«, kicherte er. »Hab die Patronen herausgenommen.«
» Patronen wie die hier?«, fauchte Geri und hielt eine hoch, damit sie sie sahen.
»J-jetzt reicht ’ s aber«, stotterte Lark. »Lass uns –«
»Klappe!«, brüllte Geri und visierte ihn an. »Halt einfach die Klappe!«
»Okay.«
McFall rückte zur Seite, da Geri wie ausgewechselt schien und zweifelte laut an sich selbst.
» Wie kann sie geladen sein?« Er stutzte. »Bin mir absolut sicher, dass ich sie leergemacht hab.
»Sicher?«, hakte Lark nach. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Klar war McFall ein Nichtsnutz, aber so dusselig konnte er doch nicht sein.
»Terrassenschlüssel«, verlangte Geri mit einem Grinsen.
Einem genießerisch gehässigen Grinsen.
»Oh nein«, stöhnte Lark.
»Und ob, verdammt«, erwiderte sie und nahm ihm den Schlüssel aus der Hand.
Fürwahr, Geri hatte sich seit Wochen nicht gründlich gewaschen und vor Monaten zum letzten Mal ein entspannendes, heißes Bad genossen. Die Vorzüge eines Campingkochers ermöglichten ihr nun beides. In mühevoller Fleißarbeit kochte sie den ganzen Nachmittag lang Wasser in großen Töpfen auf, um es in die Wanne zu schütten. Etwas Schaumbad aus dem Wandschrank im Raum setzte dem Ganzen die Krone auf.
Gleich einer Kleopatra lag sie im Wasser, und die Fleisch gewordnen Bläschen liebkosten wie winzige Feen ihre nackte Haut. Mit geschlossenen Augen und geöffnetem Mund atmete sie genüsslich den wunderbaren Eukalyptusduft des Schaumbades ein. Dichte Dampfschwaden zogen durchs offene Fenster neben ihr ab. Während sie dabei zusah, erinnerte sie sich an ihren alten Physiklehrer und dessen Erklärungen zu wechselnden Aggregatszuständen. Da beschloss sie, dies als gutes Omen aufzufassen, als erstes Signal der großen Götter vom Seifenschaum oder so: Bald schon sollte sich etwas verändern, ein Retter am Horizont auftauchen.
Als sie einen Handspiegel vom Rand der Wanne nahm, war dieser leicht vom Dampf beschlagen. Sachte schrieb sie mit dem Finger »Ich werde überleben« auf das glatte, kühle Glas, um den Augenblick des kurzen Optismus zu ehren. Lächelnd blickte sie auf ihren achtzehnten Geburtstag zurück. Körpergröße und anmutiges Aussehen hatten sich nicht immer als vorteilhaft für Geri McConnell erwiesen. In der Schule waren andere stets auf die Schwächen ihrer Mitschülerinnen angesprungen. Sozialdarwinismus, wie besagter Naturwissenschaftstutor es genannt hatte, galt in ihrer Oberstufenzeit als Gesetz auf den Fluren der Schule – das Gesetz des Stärkeren tagein tagaus. Das Selbstbewusstsein einer Teenagerin, die schlank wie eine Bohnenstange war – dazu rothaarig und deshalb ein Freak –, musste darunter zwangsläufig leiden. Nichtsdestotrotz hatte sie es bis zur Abschlussprüfung durchgestanden und dabei relativ gut abgeschnitten, obwohl sie beträchtlichem Druck ausgesetzt gewesen war. Zur Volljährigkeit dann hatte sie Gloria Gaynors »I Will Survive« gehört und sich direkt angesprochen gefühlt: Sie war eine Überlebende.
Das heilsame Wasser schwappte gegen die Abschürfungen an ihrer Schulter und dämpfte den bereits abklingenden Schmerz in ihrem Fuß. Sie döste vor sich hin, so relaxt war sie. Inmitten dieses Höllenschlundes kam ihr dies wie ein Hauch des Himmels vor, sie redete sich immerzu ein, dass sie es verdient hatte, besonders nach dem Ärger, den sie wegen der beiden Affen auf der Terrasse durchmachen musste. Sie lachte kurz auf, als sie daran dachte, wie sie sie gelinkt hatte. Der Revolver war wirklich nicht geladen gewesen – ein Bluff, wie die zwei es vermutet hatten. Die Patrone in Geris Hand war die aus ihrer Jeans beziehungsweise der Abstellkammer. Ein einfacher Trick, doch jetzt war die Knarre natürlich wieder geladen, und um das zu bewerkstelligen, hatte sie lange gebraucht. »Ein Hoch auf Cowboyfilme«, sprach sie leise und lächelte.
Geri machte ihren hochgeschossenen Leib noch länger und genoss es, weder an ihren nächsten Schritt denken noch überhaupt etwas planen zu müssen. All dies war sie leid. Von nun an wollte sie nur für den Augenblick leben – für dieses Bad, in diesem Raum und diesem Haus. Weiter würde sie nicht vorausschauen – jetzt nicht und auch nicht in Zukunft. Ohnehin sah es dort draußen ziemlich trostlos aus. Die Toten lauerten mittlerweile
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