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Grippe

Grippe

Titel: Grippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wayne Simmons.original
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Leben gehörte, gar nicht so verkehrt, morden zu können, auch und gerade zum Selbstschutz. Auch und gerade wenn das, was man umbrachte, aus welchen absonderlichen Gründen auch immer schon tot war.
    »Jepp«, antwortete er mit einem Grinsen, als er sich noch einmal mit einem Taschentuch durchs Gesicht fuhr. »Du hast getroffen.«

6

    Zwar starb er irgendwann spät nachmittags, doch erst gegen Mitternacht verwandelte der Colonel sich. Gallagher war längst darauf vorbereitet – natürlich – und hatte sich über dem Leichnam des alten Mannes aufgebaut. Er trug einen gelben Anzug aus grob genoppten Kunststoff. Das robuste Material sollte ihn vor einem eventuellen Angriff des Verstorbenen schützen, wozu es aber wahrscheinlich nicht kommen würde. Man hatte den Colonel entkleidet, Tisch und Stuhl nach hinten geschoben. So lag er nackt vor ihm, während Jackson vom Beobachtungsraum alles perfekt überblicken konnte. Arme und Beine des Toten waren fest verschnürt, weshalb er unmöglich aufstehen oder grapschen konnte.
    »Ich glaube, es ist bald soweit, Sir«, bemerkte Gallagher durchaus erregt. »Sehen Sie, die Schicht auf seiner Haut ist beinahe vollständig ausgebildet.«
    »Meinen Sie eine Schweißschicht?«, fragte Jackson neugierig. Er saß unruhig im Sessel vor dem roten Knopf auf der sicheren Seite der Scheibe.
    » Nicht ganz, Sir, nicht nur«, erwiderte der Doktor. »Ich kenne das von den Leichen, die ich obduziert habe. Nach dem Tod sondern ihre Poren einen dickflüssigen Schleim ab, der die Haut überzieht, so ähnlich wie Schweiß. Bloß verhärtet er sich – vergleichbar mit flüssigem Latex, sagen wir – nach einiger Zeit, um den Körper gewissermaßen zu konservieren, ihn gegen den temporären Verfall und Sonneneinstrahlung zu schützen. Wirklich bemerkenswert, doch davon abgesehen weiß ich kaum mehr. Für eine gründlichere Untersuchung fehlt mir die entsprechende Ausrüstung. Dennoch möchte ich meinen, es setzt sich aus Sekreten zusammen, die unsere Körper bereits zu Lebzeiten ausscheiden.«
    Jackson erinnerte sich daran, wie er sie vom Wachhaus in Aldergrove aus beobachtet hatte, kurz nachdem der Sauerstoff ausgegangen war und die überlebenden Militärs die Waffen nie dergeworfen hatten. Immer mehr waren es geworden, angelockt vom steten Hin und Her der Soldaten. Die Verwesung war nicht einheitlich fortgeschritten, denn manchen schien die Grippe, die ihnen brutal das Leben genommen hatte, körperlich ärger zugesetzt zu haben, wenn man auch ausnahmslos erkannte, dass sie tot waren. Sie unterschieden sich von den Lebenden; ihre Körper bewegten sich anders als die lebendiger Menschen oder selbst sterbender. Die Sonne brannte tagsüber gnadenlos, als sei ein heidnischer Gottvater erzürnt ob des anhaltenden Raubbaus, den der Mensch an Mutter Natur und dem Rest der Schöpfung betrieb. Ungeachtet der Schutzschicht, von der Gallagher sprach, verrichteten die zersetzenden Strahlen nach und nach ihr Werk, und dennoch schien die Hitze die Toten anzuziehen, ihnen sogar Energie zu spenden. Bisweilen reckten manche die Arme wie zum Gebet gen Sonne oder im Versuch, sie vom Himmel zu pflücken. Man mochte glauben, dass sie sich auf ähnliche, wiewohl weniger aggressive Weise von ihr ernährten wie vom Fleisch. Dies machte sie den Menschen wiederum erschreckend ähnlich.
    »Sie haben also mehr oder weniger die gleiche Beschaffenheit wie wir«, schlussfolgerte Jackson mit einem tiefen Seufzer. »Aber was treibt sie an? Haben sie zum Beispiel einen Puls?«
    » Gutes Stichwort, Sir. Ihre Herzen schlagen nicht mehr, und tatsächlich scheint es so, als bräuchten sie keines ihrer inneren Organe. Das ist wirklich frappant.« Gallagher ging einen kleinen Schritt zurück, während er sprach. Jackson spähte durch das Glas und bemerkte, dass die Hand des Colonels zuckte. Er sah zu, wie dessen Augenlider flimmerten. Ein langer Schleimfaden ergoss sich wie Öl aus einem ausgedienten Motor aus dem Mund des Toten über das Kinn. Das ging so langsam vonstatten, als veranschaulichte es Gallaghers nächste Erläuterung: »Das ist Bronchialschleim, Sir. Ein Lebenszeichen, Sie verstehen? Sie wohnen keiner Wiederauferstehung bei. Wenn sie so schnaufen und spucken … nun, auf diese Weise entledigen sie sich ihrer unnötig gewordenen, nicht mehr funktionierenden Organe. Sie würgen sie einfach aus, zusammen mit dem Mucus, der sie bis zum Tod belastete.«
    Jacksons Magen rebellierte bei diesem Gedanken. Gallaghers fortwährender

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