Grippe
Straße erlaubte, hingen dicke Vorhänge aus Samt. Porzellanpuppen, anderer Tand und Zierrat lagen überall im Zimmer verstreut, zweifellos staubiger, als man es in der Vergangenheit je zugelassen hätte.
Der Polizist schaute sich um, hob wahllos Gegenstände an und stellte sie wieder ab, während er pfiff. Anscheinend fühlte er sich mit Geri allein unwohl, weil ihm sein Kollege hier nicht mit smarten Sinnsprüchen beispringen konnte. Obwohl smart für den anderen wohl der falsche Ausdruck war. Die meisten Männer hielt Geri für dumm – ob alt oder jung. Ihr war aufgefallen, dass sich jeder ihrer Männer, wenn sie mit ihm ausging, anders aufführte als unter seinesgleichen. Das hatte sie enttäuscht und gewissermaßen dafür gesorgt, dass sie Typen generell misstraute, sobald sie merkte, dass sie vor ihren Kumpels großspurig auftraten – besonders dann, wenn es auf Geris Kosten ging.
»Nette Aussicht«, bemerkte er, als er sich letztlich dem Fenster widmete.
» Sicher, wenn man auf Leichenschau steht«, konterte Geri und guckte durch die Scheibe. Vom ersten Stock aus übersah man die Straße recht gut.
Ein paar Tote schlurften ziellos umher. Sie umkreisten ein stehengelassenes Auto in der Nähe, als warteten sie darauf, dass jemand ausstieg. Sie zählte und kam nur auf vier, wo eben noch sechs umgegangen waren. Weitere interessierten sich für den Landrover, doch weniger als zuvor. Was der ältere Cop behauptet hatte, stimmte also: Sie besaßen nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne, bis sie sich verkrümelten. Einer sah viel zu jung aus, um schon gestorben zu sein, war höchstens ein Teenager. Sie wusste, wie dumm es geklungen hätte, das laut auszusprechen, doch Geri fand es schlichtweg ungerecht, dass Halbstarke oder gar noch jüngere zu solchen Monstern mutierten. Ältere Menschen waren eine Sache, fand sie, aber ein Teenie oder Kleinkind …
Allmählich geriet der Landrover in Vergessenheit; sie begeisterten sich nunmehr genauso wenig für ihn wie für das Haus und eigentlich auch alles andere, sich selbst eingeschlossen. Viele standen einfach herum – wie betäubt oder sogar traumverloren, wie Weidenbäume im Sommer.
»Was glauben Sie, ist geschehen?«, fragte der Polizist, während er weiter hinaussah.
Geri war auf der Stelle baff. Sie fuhr herum und schaute ihn böse an. Dieser eine Satz hatte ihr die Laune verdorben.
» Was meinen Sie damit? Ihr eigener Verein weiß nicht, was passiert ist?!«, fragte sie gereizt.
Ihn erschreckte die Frage offensichtlich.
»Natürlich nicht«, erwiderte er, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein. »Warum sollten wir?«
Geri lachte verächtlich. Sie konnte nicht glauben, dass sie ihnen diesen Mummenschanz abgenommen hatte, von wegen alles unter Kontrolle.
»Weil Sie die verdammte Regierung vertreten!«, rief sie angriffslustig. »Es ist Ihr Job, solche Dinge –«
» Wir vertreten niemanden«, wiegelte er ab. »Wir sind bloß zwei Cops und nicht schlauer als Sie.«
Geri starrte ihn an. Unglaube sprach aus jedem ihrer erschlafften Gesichtsmuskeln.
»Hören Sie, es tut mir leid«, entschuldigte er und streckte die Arme von sich. »Wäre es Ihnen lieber, belogen zu werden?«
Geri dachte kurz darüber nach und kam zu dem Schluss, dass sie in der Tat einen sehr starken Drang verspürte, sich bereitwillig an der Nase herumführen zu lassen. Er sollte behaupten, die Lage sei gebannt, und zwar mit tiefer, offiziell klingender Stimme, wahlweise auch etwas wie: »Wir setzen sofort die Rettungsstation über Ihren Aufenthaltsort in Kenntnis.« Leider musste sie der Realität ins Auge sehen: Die beiden Kerle waren nur zwei weitere glückliche Überlebende, die sehr wahrscheinlich genauso wenig Bescheid wussten wie die Clowns hinterm Haus. Cop oder Gauner machte keinen großen Unterschied.
Seufzend stützte Geri den Kopf in die Hände und lehnte sich ans Fensterbrett.
»Wo stehen wir also in dieser Situation?«, fragte sie weiter.
Der junge Mann zog den Helm aus und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Er ging vom Fenster fort, um sich aufs Bett zu setzen.
»Wir stehen genau hier, und zwar in diesem Augenblick«, schwadronierte er ohne jedweden ironischen Unterton. »Wir machen das Beste daraus und versuchen, am Leben zu bleiben.«
»Wofür?«, schnauzte Geri. »Welchen Zweck hat das alles?«
»War das nicht schon immer die Frage aller Fragen?«, konterte er verärgert. Gleich wirkte er weniger blass und nicht mehr so sympathisch albern wie zuvor. Im schwachen
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