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Grippe

Grippe

Titel: Grippe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wayne Simmons.original
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plötzlich einen dunklen Schatten, der durch das Sichtfeld huschte.
    »Grundgütiger, haben Sie das gesehen?«
    »Wo? Welcher Raum?«, fragte der Private.
    »Das Schlafzimmer«, entgegnete der Major und stellte sich neben den Mann. »Schalten Sie zurück. Dort hat sich jemand bewegt.«
    »Vermutlich einer der Toten, Sir«, warf Gallagher von hinten ein. Er klang desinteressiert, als sei dies bloß eine Lappalie im Vergleich zu der Ungeheuerlichkeit, die er zuletzt mit dem Leichnam des Colonels erlebt hatte.
    »Nein«, widersprach Jackson. »Sehen Sie genau hin.«
    Als der Private die entsprechende Kamera gefunden hatte, beobachteten sie alle, wie der Schemen erneut durch den Raum schweifte. Er schien seine Bewegungen im Griff zu haben und zielgerichtet zu gehen. Dann hob er etwas vom Boden auf. Gallagher, den es nun nicht mehr kalt ließ, trat neben den Major. Alle im Kontrollraum schwiegen und erstarrten gebannt. Der Private justierte nach, zoomte heran.
    Das Bild wurde schärfer; jetzt erkannten sie es …

    Vom Dach aus sahen sie winzig aus. Weniger dämonisch und dafür menschlicher. Man erkannte verschiedene Kleider und Haarfarben; sogar Arme und Beine ließen sich einzeln auseinanderhalten. Manche bewegten sich, hielten an und schüttelten die Köpfe, als seien sie müde. Müde Menschen. Nur ihre Gesichter sah man nicht – den Verfall, die Abgründe ihrer toten, blutig unterlaufenen Augen. Das atemlose Stöhnen hörte man kaum, da das nur vereinzelt bewölkte Blau und der wirbelnde Wind ein Naturschauspiel sondergleichen garantierten, das das Stimmgewirr ausblendete.
    Pat kauerte ruhig an der Spitze des Wohnsilos – gedankenversunken oder verträumt, den Blick gen Himmel oder hinab auf die Toten gerichtet.
    Obwohl der Morgen weit fortgeschritten war, hatte Karen ihr Zimmer noch nicht verlassen. Er war wie immer früh aufgestanden, hatte jedoch ihren Tee und das Frühstück missen müssen. Ungern gestand er sich ein, dass er sich allmählich an ihr Gewusel um ihn herum gewöhnt hatte. Sie fehlte ihm, wenn sie sich nicht in seiner Nähe aufhielt.
    Neben ihm lag sein Witwenmacher, heute mit Zielfernrohr. Er kramte in seinen Taschen nach der Brille, fand sie und setzte sie auf. Dann streifte sein Blick das immer weiter anschwellende Meer von Leichen ab; eine bestimmte suchte er, die ihm bereits früher aufgefallen war. Sie hatte sich unter die anderen gemischt und irgendwann aus seinem Blickfeld gestohlen. Trotz der Vielzahl würde er sie jedoch wiederfinden, auch wenn die Unterschiede zwischen ihnen nur minimaler Natur waren.
    Einen gab es aber.
    Dieser Tote trug eine Uniform. Eine Polizeiuniform.
    Pat rief sich seine Unterhaltung mit Karen vom Vortag ins Gedächtnis, von wegen diese Leichname seien dereinst Menschen gewesen – Menschen wie er und sie, die sich um ihre Ehepartner, Verwandten und Freunde gesorgt hatten; Menschen mit geregeltem Alltag, die liebevoll und leidenschaftlich gewesen waren. Karen wollte mehr erschießen, doch das erlaubte er nicht. Allerdings war er jetzt auf dem Dach – mehr als zehn Stockwerke über ihnen – dazu bereit, seine eigene Maxime zu missachten.
    Pat wusste nicht genau, warum er diesen Polizisten unbedingt abknallen wollte. Ein Teil von ihm konnte es kaum erwarten, diesen willkürlichen wie belanglosen Racheakt zu vollziehen. Ein Widerhall des alten Pat. Des Freiheitskämpfers. Des Gefangenen. Andererseits war er intelligent genug zu wissen, dass es diesmal keiner revolutionären Bewegnung half. Vielmehr vermutete er, dass sich die Tatsache, ein bereits totes Ziel anzuvisieren und quasi erneut umzubringen, therapeutisch auswirkte, sein Handeln in jeder Hinsicht legitimierte. So erlebte er das Töten, ohne tatsächlich jemandem zu schaden. Möglicherweise – wäre Pat tief in sich gegangen, um unter die harte Schale seines gekränkten Herzens, seiner verwundeten Seele zu schauen – kam die Schussfreudigkeit auch eher daher, dass es sich schlicht anbot, ein armes Schwein endgültig von seinem Elend zu erlösen. Im Laufe der Jahre hatte er im Zuge ihres bewaffneten Widerstands, wie es hieß, viele Uniformierte getötet. Manche waren verdient gestorben, andere nicht, also gelang es ihm vielleicht, einen der Morde wiedergutzumachen, sozusagen etwas zurückzugeben, nachdem er anderswo unrechtmäßig genommen hatte.
    Leben und sterbenlassen.
    Letztendlich wusste Pat nicht, was ihn dazu bewegte, vermutlich eine Mischung aus alledem und nichts – ein potenter Cocktail mit

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