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Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)

Titel: Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leigh Bardugo
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hatte, und fragte mich zweitens, ob er sich der darin enthaltenen Geheimnisse überhaupt bewusst war.
    »Ich auch nicht«, sagte ich. »Aber der Felsbogen muss etwas zu bedeuten haben.«
    »Kommt er dir bekannt vor?«
    Beim ersten Blick auf die Illustration war er mir tatsächlich vertraut vorgekommen. Aber als Kartografin hatte ich natürlich unzählige Atlanten durchgeblättert und in meiner Erinnerung verschwammen alle Täler und Erhebungen in Rawka und auch jenseits seiner Grenzen miteinander. Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Natürlich nicht. Das wäre auch zu einfach.« Er atmete schwer aus, zog mich dichter zu sich heran und musterte mein Gesicht im Mondschein. Er berührte den Halsreif. »Alina«, sagte er, »wissen wir überhaupt, wie diese Dinge dich verändern werden?«
    »Nein, das wissen wir nicht«, gestand ich.
    »Trotzdem willst du alles: den Hirsch; die Meeresgeißel; den Feuervogel.«
    Ich dachte an die überwältigende Freude, die mich während des Einsatzes meiner Macht im Kampf gegen die Horden des Dunklen erfüllt hatte, an das Kribbeln und Sausen, als ich den Schnitt geführt hatte. Was würde ich fühlen, wenn meine Macht sich verdoppelte? Verdreifachte? Dieser Gedanke ließ meinen Kopf schwirren.
    Ich sah zu den Sternen auf. Der Himmel war wie schwarzer Samt, übersät von Edelsteinen. Auf einmal wurde ich von einem unstillbaren Verlangen erfüllt. Ich will es , dachte ich. All das Licht, die ganze Macht. Ich will alles.
    Eine rastlose Unruhe durchfuhr mich. Ich strich mit dem Daumen über den Rücken der Istorii Sankt’ja . Ob mir mein Verlangen half, das zu finden, was ich finden wollte? Vielleicht war es gar kein Verlangen, sondern Gier – wie jene, die den Dunklen vor langer Zeit angetrieben, in den Schwarzen Ketzer verwandelt und Rawka gewaltsam geteilt hatte. Doch es war nicht zu leugnen, dass ich es ohne die Kräftemehrer nicht mit ihm aufnehmen konnte. Maljen und mir blieb keine andere Wahl.
    »Wir brauchen sie«, sagte ich. »Alle drei. Wenn wir nicht für immer davonlaufen wollen. Wenn wir endlich wieder frei sein möchten.«
    Maljen strich über meinen Hals und meine Wange und sah mir in die Augen. Ich hatte das Gefühl, als würde er darin nach einer Antwort suchen, aber er sagte schließlich nur: »Also gut.«
    Er küsste mich zärtlich. Ich versuchte, es zu ignorieren, aber sein Kuss hatte etwas Bedauerndes.
    Schwer zu sagen, ob ich schlicht ungeduldig war oder befürchtete, meine Entschlossenheit zu verlieren. Jedenfalls suchten wir trotz der späten Stunde Sturmhond auf. Der Freibeuter reagierte mit der üblichen Bereitwilligkeit auf unser Anliegen, und Maljen und ich kehrten an Deck zurück, um am Besanmast zu warten. Bald darauf erschien der Kapitän mit einer Materialnik. Sie wirkte sehr unscheinbar mit ihren Zöpfen und gähnte wie ein verschlafenes Kind, aber Sturmhond pries sie als seine beste Fabrikatorin und ich musste ihm wohl oder übel glauben. Tolja und Tamar trotteten mit Laternen hinterdrein, um der Fabrikatorin bei der Arbeit zu helfen. Wenn wir das, was als Nächstes geschehen würde, überlebten, wären alle an Bord der Wolkwolnij über den zweiten Kräftemehrer im Bilde. Das gefiel mir zwar nicht, aber es war nicht zu ändern.
    »n’Abend alle zusammen«, sagte Sturmhond und klatschte in die Hände, ohne die gedrückte Stimmung zur Kenntnis zu nehmen. »Genau die richtige Nacht, um die Welt auf den Kopf zu stellen, was?«
    Ich warf ihm einen grimmigen Blick zu und holte Rusaljes Schuppen aus der Tasche. Ich hatte sie in einem Eimer mit Meerwasser gewaschen und sie glänzten golden im Schein der Laternen.
    »Weißt du, was du zu tun hast?«, fragte ich die Fabrikatorin.
    Ich musste mich umdrehen und ihr die Rückseite des Halsreifs zeigen. Obwohl ich sie immer nur im Spiegel gesehen hatte, wusste ich, dass die Oberfläche fast makellos war. Jedenfalls hatte ich an der Stelle, wo David die beiden Geweihstücke miteinander verschmolzen hatte, nie eine Naht ertasten können.
    Ich gab die Schuppen Maljen, der sie an die Fabrikatorin weiterreichte.
    »Haltet ihr das wirklich für sinnvoll?«, fragte sie und kaute dann so wild auf ihrer Unterlippe, dass ich befürchtete, sie würde sich gleich blutig beißen.
    »Selbstverständlich nicht«, erwiderte Sturmhond. »Alles, was es wert ist, in die Tat umgesetzt zu werden, gilt zunächst als vollkommener Unsinn.«
    Die Fabrikatorin nahm Maljen eine Schuppe ab und drückte sie auf mein Handgelenk. Dann bat sie

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