Grischa, Band 2: Eisige Wellen (German Edition)
Kajüte war winzig und bot kaum Platz für die beiden Hängematten und die Kommode. Vor den Wänden standen Regale mit Salben und Tropfen, Arsenpuder und antimonischer Bleitinktur, die niemand brauchte.
Ich legte mich vorsichtig in eine Hängematte, setzte die Füße auf den Boden und dachte an das rote Büchlein in meiner Tasche, während Tamar ihre Truhe aufklappte und sich ihrer Waffen entledigte: zwei Pistolen, die sie quer vor der Brust trug, zwei schmale Äxte am Gürtel, ein Dolch im Stiefel und ein weiterer, den sie am Oberschenkel befestigt hatte. Sie war eine wandelnde Waffenkammer.
»Dein Freund tut mir leid«, sagte sie, als sie etwas aus der Tasche zog, das wie eine Socke voller Kugellager aussah und mit einem dumpfen Knall in der Truhe landete.
»Wieso?«, fragte ich und malte mit der Stiefelspitze einen Kreis auf den Fußboden.
»Mein Bruder schnarcht wie ein besoffener Bär.«
Ich lachte. »Maljen schnarcht auch.«
»Dann können sie ja im Duett ratzen.« Sie verschwand und kehrte kurz darauf mit einem Eimer zurück. »Die Fluter haben die Regentonnen gefüllt«, sagte sie. »Du kannst dich gern waschen.«
Frisches Wasser war normalerweise ein Luxus an Bord eines Schiffes, aber da Grischa zur Besatzung gehörten, musste ich wohl nicht daran sparen.
Tamar tauchte ihren Kopf in den Eimer und fuhr sich dann durch die kurzen dunklen Haare. »Ein hübscher Kerl, dieser Fährtensucher.«
Ich verdrehte die Augen. »Was du nicht sagst.«
»Nicht mein Typ, aber hübsch.«
Meine Augenbrauen schossen nach oben. Soweit ich wusste, war Maljen der Typ einer jeden Frau. Aber ich wollte Tamar nicht mit persönlichen Fragen belästigen. Wenn Sturmhond nicht zu trauen war, galt das auch für seine Besatzung, und dann war es nicht ratsam, Freundschaften zu schließen. Genja hatte mir in dieser Hinsicht eine Lektion erteilt, und eine zerbrochene Freundschaft reichte mir. Also sagte ich: »Zu Sturmhonds Besatzung gehören auch Kerch. Sind sie nicht abergläubisch, was Frauen an Bord betrifft?«
»Sturmhond erledigt die Dinge auf seine Art.«
»Und die Männer … Belästigen sie dich nicht?«
Tamar grinste so breit, dass die weißen Zähne in ihrem bronzefarbenen Gesicht blitzten. Sie tippte auf den glänzenden Haifischzahn, der um ihren Hals hing, und mir wurde bewusst, dass es sich um einen Kräftemehrer handelte. »Nein«, sagte sie nur.
»Ah.«
Bevor ich mich’s versah, zog sie noch ein Messer aus einem Ärmel. »Ist auch sehr nützlich«, sagte sie.
»Wie kannst du dich da für eine Waffe entscheiden?«, fragte ich etwas kläglich.
»Hängt von meiner Stimmung ab.« Sie ließ das Messer herumschnellen und hielt es mir hin. »Sturmhond hat Befehl gegeben, dass man dich in Ruhe lassen soll, aber falls sich jemand im betrunkenen Zustand vergisst … Du kannst auf dich aufpassen?«
Ich nickte. Ich lief zwar nicht mit dreizehn Messern am Leib durch die Gegend, aber ich war auch nicht ganz blöd.
Sie tauchte wieder den Kopf in den Wassereimer und sagte danach: »An Deck wird gewürfelt und ich habe Lust auf meine Ration. Du kannst gern mitkommen.«
Spiele und Rum waren mir zwar egal, aber die Verlockung war dennoch groß, denn nachdem ich meine Macht gegen die Nitschewo’ja angewandt hatte, stand ich innerlich immer noch unter Spannung. Ich war rastlos und hatte zum ersten Mal seit Monaten ein richtiges Loch im Bauch. Trotzdem schüttelte ich den Kopf. »Nein, danke.«
»Wie du willst. Ich muss Schulden eintreiben. Priwjet hat darauf gewettet, dass wir nicht heil davonkommen. Beim Entern zog er ein Gesicht wie bei einer Beerdigung, das kannst du mir glauben.«
»Er hat auf euren Tod gewettet?«, fragte ich entgeistert.
Sie lachte. »Ich nehme es ihm nicht krumm. Ein Kampf gegen den Dunklen und dessen Grischa? Jeder wusste, dass es ein Selbstmordkommando war. Die Besatzung hat mit Strohhalmen ausgelost, wer die Ehre haben durfte, daran teilzunehmen.«
»Dann hattet ihr einfach Pech, du und dein Bruder?«
»Wir?« Tamar blieb in der Tür stehen. Ihre Haare waren nass und sie setzte im Schein der Lampe ihr Entherzergrinsen auf. »Wir haben keine Strohhalme gezogen«, sagte sie und trat in den Gang. »Wir haben uns freiwillig gemeldet.«
Erst später am Abend bekam ich Gelegenheit, mit Maljen zu sprechen. Sturmhond hatte uns zum Abendessen in sein Quartier eingeladen, und es war ein sonderbares Mahl gewesen. Ein Diener mit tadellosen Manieren, viel älter als alle anderen Besatzungsmitglieder,
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